Wissenschaftsrat zu COVID-19

Forschung in Deutschland: zu wenig vernetzt und datengetrieben

Die Gesundheitsforschung hat in der Corona-Pandemie Schwächen bei Translation und Vernetzung gezeigt. Der Wissenschaftsrat dringt darauf, die Förderpolitik neu auszurichten.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Medizinische Forschung in Deutschland: zu wenig vernetzt und datengetrieben

Schneller werden bei der Umwandlung von Forschung in die Patientenanwendung und umgekehrt: Der Wissenschaftsrat fordert Konsequenzen für das Wissenschaftssystem in Deutschland.

© obojama / stock.adobe.com

Berlin. Der Wissenschaftsrat hat in einem Positionspapier ein kritisches Fazit der Gesundheitsforschung in der COVID-19-Pandemie gezogen. Es gelte, „Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland“ zu ziehen, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Papier.

Darin sollen zum einen die in der Pandemie sichtbar gewordenen Schwächen des Wissenschaftssystems aufgezeigt werden. Zum anderen will der Rat „grundlegende Neuorientierungen wissenschaftspolitischen Handelns“ anstoßen“.

Die Mängelliste der Autoren ist lang – und teilweise seit Jahren bekannt: Es gelinge in Deutschland zu selten, zeitnah Wissen aus der Gesundheitsforschung in die Versorgung zu bringen – die sogenannte Translation. Gleiches gelte für den umgekehrten Weg, Wissen aus der Versorgung für die Forschung zugänglich zu machen.

Sorgenkind klinische Studien

„Nachholbedarf“ sieht der Rat bei wissenschaftsgetriebenen klinischen Studien einerseits und bei der Datenvernetzung an der Schnittstelle von Gesundheitsforschung und Versorgung andererseits. Ferner fehlten hierzulande etablierte und vernetzte Strukturen der Gesundheitsforschung, die schnell einsatzbereit seien, um im Krisenfall Forschungsaktivitäten auf nationaler Ebene zu koordinieren.

Dafür sehen die Autoren mehrere Gründe:

  • Klinische Studien: Es werden nicht nur zu wenige klinische Studien aufgelegt. Es wird auch das Potenzial vorhandener Studien nicht ausgeschöpft, weil die Studienkohorten oft zu klein sind und ausreichend finanzierte Studienzentren fehlen. Das spiegele sich auch in dem Umstand, dass die Gesundheitsforschung in Deutschland zu Beginn der Pandemie keine führende Rolle bei interventionellen Studien zu Wirkstoffen und Therapieverfahren in der Behandlung von COVID-19-Patienten gespielt habe.
  • Ausgründungen: Trotz der beiden aktuellen Leuchttürme, den Unternehmen CureVac aus Tübingen und BioNTech aus Mainz, gebe es zu wenig erfolgreiche Ausgründungen aus Hochschulen im Vergleich zu den USA, Großbritannien oder Israel. Ein großes Potenzial sieht der Wissenschaftsrat bei der Entwicklung von Apps zur Therapieoptimierung.
  • Datenvernetzung: In Deutschland fehlt ein standortübergreifender Zugang zu standardisierten Daten aus medizinischer Forschung und Versorgung. Das, so der der Wissenschaftsrat, würde auch Translationsprozesse verbessern. Hoffnung bestehe angesichts der forschungskompatiblen elektronischen Patientenakte: Dort gebe es ab 2023 die Möglichkeit, Daten aus der ePA an das Forschungsdatum freizugeben.
  • Vernetzung in der Gesundheitsforschung: „Unbestreitbaren Vernetzungsbedarf“ sehen die Autoren an der Schnittstelle von Wissenschafts- und Gesundheitssystem. Die standardisierte Erfassung von Daten sei essenziell für die Arbeitsfähigkeit eines solchen Netzwerks. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das im März 2020 begonnene Aufbau des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin, in dem alle Unimedizin-Standorte zusammenarbeiten.
  • Multi- und interdisziplinäre Vernetzung und Kooperation: Die Pandemie hat die Notwendigkeit einer engen Kooperation der Gesundheits- und Präventionsforschung mit anderen Disziplinen gezeigt, heißt es. Das gilt etwa für Mathematik und Informatik, um zusammen mit Epidemiologen Szenarien der Ausbreitung der Pandemie aufzuzeigen. Das zeige sich aber auch bei der Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Expertise, um die gesellschaftlichen Folgen etwa von Lockdown-Maßnahmen zu verstehen.

Neuorientierung der Forschungsförderung

Diese Form multidisziplinärer Vernetzung sei bisher „vernachlässigt“ worden, konstatiert der Wissenschaftsrat. Der Rat dringt darauf, diese „Impulse“ aus der Pandemie rasch in konkrete Förderpolitik umzuwandeln: Weg von der an kurzfristigen Projekten ausgerichteten Forschungsförderung, hin zur Förderung von Vernetzung und Kooperation, und zwar über die Grenzen der Gesundheitsforschung hinaus.

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Kommentare
Dr. Horst Grünwoldt 28.01.202119:00 Uhr

Was die mangelnde "Vernetzung" der Forschung anbelangt, so dürften das vor allem persönliche Eitelkeiten oder Peinlichkeiten in D sein! Wahrscheinlich möchte man auch alleine an die Fördertöpfe kommen, und ggf. den Ruhm solitär mit eigenem Namen verbinden.
Auffällig ist auch bei den veröffentlichten Studien-"papers", dass unter dem speziellen, engbegrenzten Titel-Thema eine Vielzahl von unbekannten Co-Autoren, bis hin zu technischen Mitarbeitern/ Laboranten auftaucht, die immer aus dem gleichen "Stall" stammen, aber nicht in Gemeinschaftsarbeit verschiedener Institute entstanden sind. Stichwort: es fehlt gewiss an gegenseitiger, kreativer Befruchtung, damit mal wieder etwas Nobelpreis-Verdächtiges heraus kommt bei all der teuren Forschung in D. Wer zählt schon die vielen wissenschaftlichen (meist staatlichen) Einrichtungen auf, die sich hier, örtlich getrennt, alleine mit Infektiologie und dem derzeitigen Corona-Geschehen beschäftigen?
Das wird in der "Corona-Krise" auffällig: Jeder von den Experten der Virologie, Infektiologie oder Epidemiologie kocht sein eigenes Süppchen; besonders in TV-Talkshows und Podcasts.
Als an baldiger Beendigung der "Lockdowns"- und "Shutdowns"- Maßnahmen interessierter Hygieniker würde ich mir wünschen, dass die 3 Seuchen-Experten Drosten, Kekule´und Streek den Mumm hätten, gemeinsam im öffentlichen "brainstorming" ihre gesicherte Expertise mit wohlüberlegten Empfehlungen an die Politik und uns zu verkünden.
Ich bin mir sicher, dass sie dabei sich in ihren angsterregenden Spekulationen und Vermutungen über die Fähigkeiten eines primitiven leblosen Nano-Zellpartikels -incl. dessen Mutanten- gegenseitig vor tollkühnen Prognosen mäßigen.
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt (Hygieniker), Rostock

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