Bayern
Frust bei Klinik-Ärzten wird von Tag zu Tag größer
Gefangen in bürokratischen Zwängen, beschäftigt mit Arbeiten, die sie als überflüssig erleben, gestresst durch Vorgaben, die für steigenden Druck sorgen: Bayerns Klinikärzte sind extrem frustriert.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Der Frust bei den Fachärzten in bayerischen Krankenhäusern ist groß: Vier von fünf Fachärzten haben das Gefühl, dass sie ab und zu bis sehr häufig unnötige Aufgaben zu erledigen haben, die für sie keinen Sinn ergeben, die vermieden werden könnten oder die mit weniger Aufwand erledigt werden könnten, wenn sie effizienter organisiert wären.
Dazu gehört nicht nur die Beschriftung von Blutröhrchen, für die der Arzt überqualifiziert ist, erläutert der Geschäftsführer des Marburger Bundes (MB) in Bayern, Klaus-Dieter Bauer. Es sind jedoch nicht nur solche einfachen Tätigkeiten, die die Klinikärzte belasten. Es sind vor allem die bürokratischen Anforderungen, die den Klinikärzten Zeit rauben, die ihnen dann für die Patientenversorgung fehlt.
Der wachsende Dokumentationsaufwand, die Erhebung von Kennzahlen, das Qualitätsmanagement, die Beantwortung von Kassenanfragen oder die Beachtung wirtschaftlicher Vorgaben aus der Krankenhausverwaltung sind nur einige Stichworte, meint MB-Landesvorsitzender Dr. Christoph Emminger.
Besonders davon belastet sind die Fachärzte in den Krankenhäusern, mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren das "Rückgrat der Kliniken", so Emminger, die sich in einer "Sandwichposition" zwischen oben und unten befinden und für die die Klinik der Lebensarbeitsplatz ist.
Studie vergleicht Belastungssituation
Mit seinen Aussagen stützt sich Emminger auf die Ergebnisse einer Promotionsarbeit am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität München, in der die Belastungssituation bayerischer Krankenhausärzte im Vergleich zu Lehrern untersucht wurde.
Lehrer gelten zwar allgemein als besonders burn-out-gefährdet, erläutert die Autorin der Studie, Diplom-Psychologin Carla Albrecht, es gebe aber keinen Vergleich mit einer anderen großen Berufsgruppe. Deshalb habe sie sich für ihre Untersuchung für Krankenhausärzte entschieden, von denen auch immer wieder gesagt werde, dass sie ebenfalls besonders stressbelastet sind.
Insgesamt 1045 Krankenhausärzte der verschiedensten Fachrichtungen und aller Hierarchiestufen von Assistenzärzten bis zu Chefärzten hatten sich an der Online-Befragung beteiligt und einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt, der ausgedruckt 13 DIN A 4 Seiten umfassen würde, erläuterte Albrecht vor der Presse in München. Die Teilnahme sei außerordentlich hoch, die Studienergebnisse seien somit "hoch repräsentativ".
In der Befragung, die in Zusammenarbeit mit dem Marburger Bund Bayern erfolgte, wurde nach der subjektiven Einschätzung der Arbeitssituation gefragt, nach den zur Verfügung stehenden Ressourcen, nach Bewältigungsstrategien sowie nach Stressfolgen.
Rund 80 Prozent der Krankenhausärzte gaben an, mehr oder weniger öfters das Gefühl zu haben, dass sie unnötige Aufgaben erledigen müssen. 50 Prozent berichten von unzumutbaren Aufgaben im Hinblick auf ihre Berufsrolle, sei es, weil es sich um "niedere" Tätigkeiten handelt, oder aber um Tätigkeiten, für die man mehr Erfahrung bräuchte.
Fast 30 Prozent der Teilnehmer haben nach Albrechts eine "Gratifikationskrise", also das Gefühl, dass man sich stark verausgabt und vergleichsweise wenig Belohnung dafür bekommt. Dieser Anteil sei bei den Klinikärzten wesentlich höher als bei Lehrern und auch in der Gesamtbevölkerung.
Kraft schöpfen die Krankenhausärzte vor allem aus positiven Rückmeldungen von Patienten und Angehörigen, weniger hingegen aus der Unterstützung durch Kollegen oder Vorgesetzte. Insbesondere Fachärzte beklagen eine mangelnde Unterstützung im Klinikbetrieb. 80 Prozent machen die Erfahrung, dass die eigene Arbeit anderen nützt und dass sie einen sinnstiftenden Beruf ausüben. 95 Prozent haben das Gefühl, dass sie die beruflichen Ziele meist erreichen.
Ernüchternd sind die Ergebnisse zu möglichen Bewältigungsstrategien gegen beruflichen Stress. Nur etwa ein Drittel der Krankenhausärzte ist in der Lage, sich gedanklich von der Arbeit zu distanzieren und abzuschalten. Und weniger als ein Viertel schafft es, durch Freizeitaktivitäten Kraft zu tanken.
Vor allem Assistenzärzten fällt es schwer, sich vom Berufsstress zu erholen.Im Umgang mit unmittelbarem Stress im Beruf haben drei Viertel der Ärzte ein positives Stressbewältigungsmuster, wohingegen 25 Prozent ein "ruminativ-selbstisolierendes Verhalten" zeigen, also resignieren und sich zurückziehen. Bei den Fachärzten sind es sogar 30 Prozent, deutlich mehr als in anderen Berufsgruppen und in der Gesamtbevölkerung, erläuterte Albrecht.
Nur selten erholsamer Schlaf
Entsprechend gravierend sind die Folgen der Arbeitsbelastung: 40 Prozent der Klinikärzte berichten über eine schlechte Schlafqualität, das ist deutlich mehr als in der Allgemeinbevölkerung. 36 Prozent haben Probleme mit der Tagesmüdigkeit, das ist ebenfalls deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Und 60 Prozent geben an, selten bis nie einen erholsamen Schlaf zu haben. Wobei Berufsanfängern stärker betroffen sind als ältere Ärzte.
Für MB-Geschäftsführer Bauer zeigen die Studienergebnisse, dass die Themen Arbeitszeit, Planbarkeit und Arbeitsbedingungen ein zunehmend wichtiger Gegenstand auch von Tarifverhandlungen sein muss. "Wir brauchen wieder Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern, in denen die Ärzte das tun können, wofür sie ausgebildet sind, nämlich Menschen zu helfen", sagte Bauer.