Methodenbewertung

GBA warnt Spahn vor „Systembruch“ in GKV

Der Versuch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Bewertungsverfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss zu umgehen, stößt auf massive Gegenwehr – nicht nur im GBA. Union und SPD reagieren genervt, die Grünen werfen ihm Symbolpolitik vor.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Diametrale Interessen: Jens Spahn will das Bewertungsverfahren im GBA umgehen, der GBA sieht das als "völlig systemfremd" an.

Diametrale Interessen: Jens Spahn will das Bewertungsverfahren im GBA umgehen, der GBA sieht das als "völlig systemfremd" an.

© stockphoto-graf / Fotolia

BERLIN. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unternimmt einen neuen Anlauf, den Gemeinsamen Bundesausschuss bei der Entscheidung über Kassenleistungen zu umgehen. Die Reaktionen fallen frostig aus.Mit einer Ergänzung, die Spahn an das Implantate-Registergesetz anhängen will, soll dem GBA vorgeschrieben werden, Methoden in maximal zwei Jahren zu bewerten.

„Diesen Vorstoß haben wir bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Terminservicegesetz aus guten Gründen verhindert“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar, der „Ärzte Zeitung“. Es bleibe dabei, dass ein Ministererlass „keine Alternative zu medizinischer Evidenz“ sein könne.

Erwin Rüddel (CDU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, zeigte sich über die Neuauflage des Antrags „überrascht“. Er sei weiter der Ansicht, dass die GBA-Bewertung nicht umgangen werden dürfe – „aus finanziellen Erwägungen in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem als auch zum Schutz der Patienten vor Qualitätsmängeln“, sagte Rüddel.

BÄK spricht von „staatlichem Dirigismus“

Bundesärztekammer-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery wertet das Vorhaben als „staatlichen Dirigismus in Reinform“. Die KBV hatte schon bei Spahns erstem Vorstoß im Januar gewarnt, wenn Leistungen mit zweifelhaftem Nutzen in die Versorgung kommen, steige der Druck auf Ärzte mit Blick auf eine wirtschaftliche und sichere Versorgung.

Ähnlich sieht das die Ärztin und SPD-Abgeordnete Dittmar: Es könne nicht angehen, dass „Parallelstrukturen in einem Regierungsapparat losgelöst von medizinischen Erkenntnissen“ über Leistungen entscheiden. Auch GBA-Chef Professor Josef Hecken wies am Freitag den Vorstoß Spahns zurück: „Hier geht es um die Systemfrage und nicht um den GBA“. Auch künftig müsse „nach Evidenz entschieden werden und nicht nach Beliebigkeit“. Anderenfalls drohten „Hauruck-Verfahren, bei denen nur genug Leute schreien müssen“, warnte er.

Diese Sorge treibt auch Rüddel um. Die Möglichkeit der politischen Entscheidung über Kassenleistungen würde ein „Einfallstor für Lobbyisten“ sein.

Aus Sicht der Grünen überwiegt der Schaucharakter der Aktion: „Das ist ein typischer Spahn. Erst eine Provokation medienwirksam inszenieren, dann die Fraktionen diese wiederabräumen lassen“, so die gesundheitspolitische Sprecherin, Maria Klein-Schmeink. Sie plädiert dafür, neue Instrumente füs GBA-Verfahren zu schaffen. „In erster Linie sollte das Votum der Patientenvertretungen mehr Gewicht erhalten“, fordert sie. Ferner sollten Erprobungsstudien möglich werden, an denen alle Leistungserbringer teilnehmen können.

Freilich hat Spahns Frontalangriff schon im ersten Anlauf begrenzte Wirkung gehabt: Obwohl Ergebnisse der Erprobungsstudie zur Liposuktion erst 2024 vorliegen, soll sie für Patientinnen mit Stadium III ab Januar 2020 Kassenleistung werden.

Am Dienstag ist eine Verbändeanhörung im BMG zum Entwurf des Implantate-Registergesetzes geplant – doch angesichts von Spahns Vorstoß dürfte der Schwerpunkt der Debatte ein anderer sein.

„Ein Systembruch“

  • Das BMG will den Bundesausschuss zwingen, Methodenbewertungsverfahren binnen zwei Jahren abzuschließen. Sonst droht eine Rechtsverordnung. Angehängt werden soll der Passus an das Implantate-Registergesetz.
  • In seiner Stellungnahme warnt der GBA, dies stelle „eine fundamentale Abkehr von den Grundprinzipien“ des GKV-Systems dar.
  • Die Verordnungsermächtigung verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Die Ablehnung einer neuen Leistung könne „auf der Basis diffuser Kriterien“ durch das BMG ersetzt werden.

Hecken poltert über Rückfall ins „medizinische Mittelalter“

In einer Stellungnahme hatten am Freitag GBA-Chef Professor Josef Hecken und die beiden weiteren unparteiischen Mitglieder schweres Geschütz aufgefahren. Mit den Vorschlägen Spahns sei „der Weg in die Beliebigkeit programmiert“. Die Ergänzung, die Spahn fachfremd an das Implantate-Registergesetz andocken will, sei „völlig systemfremd, überzogen und unangemessen“.

Weiter hieß es: „Die geplante Regelung ist keine Methodenbewertung, sondern eine Opportunitätsentscheidung und ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter.“ Hinzu komme, dass bei den vom Ministerium per Rechtsverordnung neu etablierten Leistungen der GKV „weder das Qualitäts- noch das Wirtschaftlichkeitsgebot berücksichtigt werden müssen“.

Wo der GBA wegen noch nicht hinreichend belegtem Nutzen von der Aufnahme einer Methode in den Leistungskatalog absieht, könne künftig das BMG „auf der Basis diffuser Kriterien“ per Rechtsverordnung kurzen Prozess machen. "Aufgaben nach Belieben übernehmen".

 Auch im Binnenverhältnis zwischen GBA und Ministerium sieht der Ausschuss durch Spahns Beschleunigungs-Vorhaben einen „Systembruch angelegt“. Künftig wäre das BMG „auch ohne Rechtsverstoß des GBA befugt (...), dessen Aufgaben nach Belieben zu übernehmen“. Unklar bleibe zudem, wie bei einem Verfahren der Rechtsverordnung externer Sachverstand in die Entscheidungsfindung eingebunden werden soll. (Mitarbeit: tau)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Spahn und GBA: Mehr als eine Provokation

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