Geheimniskrämerei im Hause Bahr?
Ein Gutachten sollte Licht ins Dunkel bringen über die Auswirkungen des Morbi-RSA. Ordnungsgemäß wurde das Papier dem Gesundheitsministerium vorgelegt - doch bis heute wurde die Studie nicht veröffentlicht. Die Vermutung: Die Ergebnisse passen der Regierung nicht in den Kram.
Veröffentlicht:BERLIN. Seit mehreren Monaten hat das Bundesgesundheitsministerium das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats zu den Verteilungswirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) vorliegen.
Veröffentlicht ist es bislang nicht. Inzwischen wird über die Ergebnisse spekuliert.
Das kritisieren die Chefs von sieben Krankenkassen in einem Brief an das Bundesgesundheitsministerium, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt.
AOK Bundesverband, Barmer GEK, DAK, Knappschaft und drei Betriebskrankenkassen fordern mit diesem Schreiben vom 21. Juli eine zeitnahe Veröffentlichung. Bis Freitag lag ihnen keine Antwort des Ministeriums vor.
Das Gutachten könne "erstmalig auf Basis empirischer Analysen belastbare Informationen liefern, ob es im Verfahren Fehlsteuerungen gibt und wie diese sich auswirken", heißt es in einem Brief der Kassen.
AOK Bundesverband und Knappschaft weisen nun auf solche Fehlsteuerungen hin. Sie halten Nachjustierungen am Verteilungssystem für nötig.
Der designierte AOK-Chef Jürgen Graalmann forderte Bahr daher auf: "Veröffentlichen Sie die von Ihnen bestellte Expertise zum Morbi-RSA."
Das Gutachten verspricht eine einmalige empirische Datengrundlage über die Morbiditätsverteilung in Deutschland. Das sieht auch der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) Dr. Klaus Jacobs so.
Schwarz-gelber Publikations-Bias
Dass Experten-Gutachten, die im Auftrag der Bundesregierung erstellt worden sind, von Bundesministerien unter Verschluss gehalten werden, ist kein einmaliger Vorgang. Bereits Anfang 2010 hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ein Gutachten von IGES zur Privaten Krankenversicherung im Giftschrank untergebracht. Die Kernaussagen, dass der Wettbewerb zwischen PKV und GKV reformbedürftig ist und dass es innerhalb der privaten Krankenversicherung zu einer starken Risikoselektion auf Kosten Älterer kommt, passten nicht ins neoliberale Weltbild. (HL)
Dass es noch nicht veröffentlicht ist, findet er "absolut unverständlich". Das sei "völlig unangemessen bei einer Regierung, die sich sonst immer auf vermeintliche Transparenz beruft", so Jacobs.
Er hofft nun auf diverse Vorträge des Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem, die für Ende September angekündigt sind.
Wasem war an der Erstellung des Gutachtens maßgeblich beteiligt, wollte sich zu der ausstehenden Veröffentlichung jedoch nicht äußern.
Von politischer Seite kommt scharfe Kritik am Bundesgesundheitsministerium. "Es ist absolut unseriös, dass Bahr mit Zahlen durch die Gegend läuft und keinem die Möglichkeit gibt, das zu überprüfen", sagte der Brandenburgische Gesundheitsstaatssekretär Dr. Daniel Rühmkorf (Linke).
Er nahm damit auch Bezug auf Bahrs Behauptung, dass das Land Brandenburg die teuerste Gesundheitsversorgung hätte, weil es zu wenig Ärzte habe.
"Man kann kein Versorgungsgesetz machen, ohne dieses Gutachten einzubeziehen", so Rühmkorf weiter. Er nimmt an, die Daten des Gutachtens seien dem Bundesminister "in irgendeiner Weise nicht genehm".
Über die Gründe für die ausstehende Veröffentlichung wird viel spekuliert. Verschiedene Seiten mutmaßen, dass das Gutachten deshalb noch nicht veröffentlich ist, weil es nicht zu dem Ergebnis kommt, dass der Morbi-RSA abgespeckt werden könnte.
Eine Vereinfachung des Morbi-RSA ist aber im Koalitionsvertrag ausdrücklich angestrebt.
Das Bundesgesundheitsministerium gibt dagegen rein organisatorische Gründe an. "Das Gutachten muss sorgfältig ausgewertet werden. Dieser Prozess dauert noch an", sagte ein Ministeriumssprecher. Für die Veröffentlichung ist nach seinen Angaben noch kein Termin festgesetzt.