Pflege

Generalistik kommt auf den Prüfstand

Die Pflegepolitik der großen Koalition ist nicht unumstritten. In Berlin eröffnet der Kongress Pflege von Springer Pflege.

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Bei der Reform der Pflegeausbildung uneins: Der Pflegebeauftragte der Unionsfraktion Erwin Rüddel (CDU), die Pflegedirektorin der Uniklinik Dresden Jana Luntz und Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz.(v.l.)

Bei der Reform der Pflegeausbildung uneins: Der Pflegebeauftragte der Unionsfraktion Erwin Rüddel (CDU), die Pflegedirektorin der Uniklinik Dresden Jana Luntz und Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz.(v.l.)

© Pilick

BERLIN. Der Bundestag wird die Koalitionspläne für eine generalistische Ausbildung in der Pflege streng prüfen. Darauf hat der Pflegebeauftragte der Unionsfraktion Erwin Rüddel (CDU) hingewiesen.

Abweichend vom üblichen Verfahren soll das Gesundheitsministerium die Verordnung, die die Inhalte der künftigen Einheitsausbildung festlegt, bereits vor der zweiten und dritten Lesung vorlegen.

Pflegexperten sollen sie bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss diskutieren können, sagte Rüddel bei der Eröffnungspressekonferenz des Kongress Pflege, der erstmals von Springer Pflege ausgerichtet wird.

Springer Pflege ist die neue Marke des Springer Medizin Verlags für den gesamten Pflegebereich einschließlich der Pflegeausbildung.

Ruf nach niedrigschwelligem Zugang

Rüddel sieht die Zusammenlegung der drei bisherigen Ausbildungsberufe in der Pflege zu einem skeptisch. Der Zugang müsse niedrigschwellig sein.

"Wenn Hauptschüler von der Ausbildung ausgeklammert würden, würden wir alles in Frage stellen, was wir in den vergangenen Jahren in der Pflege beschlossen haben", sagte Rüddel.

Die große Koalition hat mit den Pflegestärkungsgesetzen die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung stark ausgeweitet, was höhere Personalbedarfe auslöst. Vor einer Aufweichung von Qualitätsanforderungen an das Pflegepersonal warnte die Pflegedirektorin der Uniklinik Dresden, Jana Luntz.

Den immer komplexeren Krankheitsbildern müsse ein so hochwertig wie möglich ausgebildetes Personal gegenüberstehen. Luntz sprach sich für die generalistische Ausbildung aus.

Die Pflegedirektoren der Unikliniken sind Mitglied im Deutschen Pflegerat, der wiederum einer der glühendsten Verfechter der Ausbildungsreform ist.

Stärke des deutschen Systems

Die Differenzierung der Pflegeberufe sei eine Stärke des deutschen Systems, die nicht verloren gehen sollte, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Er wies auf Schwächen der Reformen hin. Heimbewohner mit Pflegestufe eins würden vom Pflegestärkungsgesetz II finanziell schlechter gestellt. Das könne die Heimbetreiber zur Risikoselektion verleiten.

Zwei Drittel der Bewohner verstärben im ersten Jahr nach dem Umzug ins Heim. "Aus Heimen werden Hospize", so Brysch. Dieser Entwicklung werde die Politik nicht gerecht. Das Hospiz- und Palliativgesetz gehe darauf nicht ein.

Der Kongress Pflege in der Hauptstadt wartet am Freitag und am Samstag mit einem umfangreichen Programm auf. Erwartet werden 1500 Teilnehmer. 115 Referenten werden die Besucher durch 26 Veranstaltungen führen. (af)

Pro: Übergreifende Kompetenz erforderlich

Das Hauptargument für die Einführung der generalistischen Ausbildung in der Pflege lässt sich aus der demografischen Entwicklung herleiten. Der Anteil hochbetagter Patienten in den Krankenhäusern und der Anteil multimorbider Pflegebedürftiger in der stationären und ambulanten Altenpflege steigt gleichermaßen.

In beiden Bereichen könne eine hohe Qualität der Pflege nur mit Fachkräften gesichert werden, die über Kenntnisse der medizinischen Behandlungspflege und der Altenpflege gleichermaßen verfügten, sagt die pflege- und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Hilde Mattheis.

Der Deutsche Pflegerat sieht im Zusammenlegen der bisherigen drei getrennten Ausbildungsberufe in der Pflege - das Gesetz erfasst auch die Gesundheits- und Kinderkrankenpflege - die Chance, "erstmals die jeweils erforderlichen pflegerischen Kompetenzen für Menschen jeden Alters in den Mittelpunkt zu stellen".

Der neue Pflegeberuf sei etwas anderes als die reine Addition der bisherigen Pflegetätigkeiten. Die Arbeit und die Attraktivität des würden Berufsbildes aufgewertet.

Das ist ein weiteres wichtiges Argument für die Reform der Pflegeausbildung. Pflegefachkräfte sind zunehmend rar, sie bleiben im Schnitt nur acht Jahre im Beruf. Ein neues Berufsbild kann Möglichkeiten schaffen, von der Alten- in die Krankenpflege oder auch auf die Kinderstation zu wechseln.

Krankenschwestern in Altenheimen sind heute schon die Regel. So sollen neue Karrierechancen entstehen, die die Entscheidung für den Pflegeberuf schon von Beginn an erleichtern helfen soll.

Familien- und Ausbildungsministerin Manuela Schwesig (SPD) erhofft sich davon einen Effekt auch auf die Löhne. Die heute noch schlechter bezahlte Altenpflege soll sich auf dem Niveau der Krankenpflege wiederfinden.

Dass das Gesetz Möglichkeiten schafft, aus der Ausbildung heraus auch weiter in Richtung Pflegestudium zu marschieren, ist nicht umstritten. Ebenso, dass das Schulgeld, das einige Bundesländer noch von Altenpflegeschülern erheben, abgeschafft wird. (af)

Contra: Generalistik verschärft Kräfte-Mangel

Aus der Argumentation gegen das Pflegeberufsgesetz stechen zwei Stränge heraus.

Das Gesetz werde den Personalmangel in der Altenpflege eher verschärfen, heißt es beim Bündnis Altenpflege. Aus mehreren Gründen: Die gemeinsame Ausbildung und der übergreifende Abschluss werde zur Folge haben, dass sich mehr Auszubildende mit dem Berufsabschluss in der Tasche Richtung Krankenhaus orientierten.

Nicht alle heute existierenden Pflegeschulen könnten den Weg in die Generalistik mitgehen. Rund 8000 Ausbildungsplätze seien in Gefahr. Gefährdet seien auch die heute möglichen berufsbegleitenden Ausbildungsgänge, was weitere rund 12.000 Ausbildungsplätze kosten könne.

Etwa die Hälfte der Altenpflegeschüler haben in Umfragen angegeben, sich bewusst für diesen Beruf entschieden zu haben und dass sie unter Bedingungen der Generalistik nicht angetreten wären.

Bei den Kinderkrankenpflegern fällt dieser Wert noch deutlicher aus. Praktisch alle haben sich bewusst in Richtung Kinderstation orientiert.

Hier setzt die zweite Hauptkritiklinie an. Eine generalistische Ausbildung von Alten- und Krankenpflegern könne sinnvoll sein, die Einbindung der Kinderkrankenpflege sei falsch. So argumentieren auch Verbände der Kinder- und Jugendmedizin.

Sie fürchten um den hohen Spezialisierungsgrad der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, wenn zum Beispiel Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe von der Politik zu Ausbildungsstätten für die Kinderkrankenpflege umgedeutet würden. Dass darüber nachgedacht wird, hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bereits öffentlich ausgesprochen.

Die gewünschte Breite der künftigen Ausbildung erfordert, dass alle Auszubildenden, eine Zahl in der Regel im sechsstelligen Bereich, alle Stationen durchlaufen. Diese Kapazitäten stehen kaum zur Verfügung. In der Kinderkrankenpflege steht nur eine vierstellige Zahl von Plätzen zur Verfügung. Gegner des Gesetzes fürchten schon allein deshalb massive Qualitätseinbußen. (af)

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