Europäische Gesundheitsunion
Gesundheit: Was Europa leisten kann – und soll
Die Corona-Pandemie hat der Idee einer europäischen Gesundheitsunion ungeahnten Auftrieb verliehen. Die Gretchenfrage: Soll man den großen Wurf wagen oder sich auf Machbares konzentrieren?
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Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel: Was soll Aufgabe der Nationalstaaten bleiben, welche Gesundheitskompetenzen soll die EU erhalten? Die Corona-Pandemie hat hier ein neues Nachdenken ausgelöst.
© Daniel Kalker / dpa
Berlin. Auf dem langen Weg zu einer europäischen Gesundheitsunion gilt es, das Momentum der Corona-Pandemie zu nutzen, um die europäischen Strukturen und Institutionen zu verbessern.
Diese Position vertrat Dr. Thomas Steffen, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, am Dienstag bei einer Online-Veranstaltung des Instituts für Europäische Politik. Dabei sollte man sich aber auf das Machbare konzentrieren. Änderungen der europäischen Verträge seien in vielen Mitgliedsstaaten nicht beliebt – auch weil ihre Umsetzung in etlichen Staaten mit Referenden verknüpft wären.
Rückfall in nationalstaatliches Denken
Die EU habe zum Beginn der Corona-Pandemie über keine ausreichenden Strukturen und Prozesse verfügt, um gemeinschaftlich dieser außergewöhnlichen Herausforderung zu begegnen, erinnerte Steffen. Ein Rückfall in nationales Denken war vorübergehend die Folge: Beispielsweise ein Exportverbot für medizinische Schutzgüter in Deutschland im Frühjahr 2020 oder die Beschlagnahme derartiger Güter in Frankreich.
Bei allen Versuchen, die Kompetenzen der EU in Gesundheitsfragen auszuweiten, bewege sich die EU immer in einem „Spannungsbogen“ zu den nationalen Kompetenzen der Mitgliedsstaaten, erläuterte Steffen. Bislang billigen die europäischen Verträge der EU in Gesundheitsfragen nur eine koordinierende Funktion zu.
Der Staatssekretär nannte als Beispiel das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), dessen Kompetenzen durch eine EU-Verordnung kräftig ausgeweitet werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission wurde im September im EU-Parlament zwar grundsätzlich begrüßt, allerdings fordern die Parlamentarier mehrheitlich eine Ausweitung des Mandats der Seuchenschutzbehörde auch auf nicht-übertragbare Krankheiten.
Mehrwert der EU-Institutionen muss deutlich werden
Steffen warnte ausdrücklich vor einem solchen Schritt. Mit der Krebsbekämpfung und -prävention wären praktisch alle Lebensbereiche betroffen. Hierdurch würde das Mandat der ECDC aus seiner Sicht überspannt: Europa, so der Staatssekretär, solle sich auf Aufgaben konzentrieren, bei deren Erfüllung stets der Mehrwert europäischer Institutionen deutlich werde.
Darum solle nun zeitnah der Grundstein auch für ein anderes Projekt gelegt werden: Für HERA, die neue EU-Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (Health Emergency Preparedness und Response Authority). HERA soll unter anderem Gefahrenanalysen erstellen und Vorhersagemodelle für den Ausbruch von Gesundheitskrisen entwickeln – damit die EU bei der nächsten Gesundheitskrise nicht wieder unvorbereitet dasteht.
Allerdings will die Kommission bei HERA keine klassische Agentur schaffen – wie etwa für die Europäische Arzneimittelagentur –, sondern diese Einheit unmittelbar als Generaldirektion in der EU-Kommission ansiedeln. Dabei gehe es auch um Schnelligkeit, sagte Dr. Jörg Wojahn , Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Bei der Etablierung einer Agentur hätten die Mitgliedsstaaten viel weitergehende Mitspracherechte. „Aber dann würden wir allein zwei Jahre darüber diskutieren, wo der Sitz dieser Agentur sein soll“, sagte Wojahn.
Globale Perspektive nicht vergessen
BMG-Staatssekretär Steffen mahnte, HERA werde ohne die Beteiligung der Mitgliedsstaaten „nicht gut funktionieren“. Wojahn verwies dazu auf eine Revisionsklausel in der noch nicht verabschiedeten EU-Verordnung. Diese sehe vor, dass 2025 erneut überlegt wird, wie die Krisenreaktionsbehörde institutionell aufgestellt sein soll.
Steffen mahnte, über das Ziel einer EU-weiten Gesundheitspolitik nicht die globale Perspektive zu vergessen. So müsse Europa beispielsweise bei der WHO sichtbarer und vor allem einheitlicher auftreten. Schließlich müsse sich die EU auch darüber im Klaren werden, welche Arzneimittel und Impfstoffe künftig in der Staatengemeinschaft produziert werden sollen – am besten vor der nächsten Gesundheitskrise.