Ärztemangel
Gesundheitshaus lässt Woldegk aufatmen
Lange Zeit hat Woldegk nach einem Landarzt gesucht - doch vergebens. Jetzt hat die Gemeinde im südlichen Mecklenburg eine Lösung gefunden, wie sie die Gefahr einer akuten Unterversorgung mit Ärzten bannen kann: Im August wird ein Ärztehaus eröffnet.
Veröffentlicht:WOLDEGK. Kabel hängen von der Decke, die Wände sind unverputzt, und auf dem Fußboden liegt Werkzeug. Noch ist nicht zu erkennen, dass sich in diesem Gebäude in wenigen Wochen Ärzte und Praxismitarbeiter um Patienten kümmern werden.
Noch arbeiten Handwerker mit Hochdruck am Innenausbau des Gesundheitshauses Woldegk. Doch für den 1. August ist die Eröffnung geplant, und wer Dr. Helmut Lode kennt, weiß, dass dieser Termin eingehalten wird. Zu lange hat der ehrenamtliche Bürgermeister des Ortes um dieses Haus gekämpft. Und um die Ärzte, die hier Patienten versorgen sollen.
Ärztemangel war früh absehbar
Als Lode vor zehn Jahren sein Amt antrat, war das Thema Ärztemangel in Woldegk schon absehbar, und seitdem ist Lode mit hohem Einsatz auf der Suche nach Ärzten.
Gemeinsam mit dem AOK-Bundesverband und der Verlagsgruppe Springer Medizin, zu der auch die "Ärzte Zeitung" gehört, suchte Lode im Jahr 2012 in einer bundesweiten Kampagne, die dem Ort im Nordosten viel Aufmerksamkeit brachte, nach Praxisnachfolgern. Jetzt scheinen die jahrelangen Bemühungen Erfolg zu haben.
Lode steht in einer der beiden eingebauten Hausarztpraxen des Gesundheitshauses. Drei großzügig geschnittene Räume im Erdgeschoss stehen für Besprechungen und Behandlungen zur Verfügung. Auf der anderen Seite des Ganges die zweite Praxis für einen Hausarzt, fast genauso geschnitten.
Erreicht werden sie über einen großen Anmeldebereich, der sich hinter dem Eingang öffnet und der für alle hier später einmal praktizierenden Ärzte zuständig sein wird.
Das könnten im Idealfall neben zwei Hausärzten auch noch sechs Fachärzte und ein Physiotherapeut werden. Das wäre für einen Ort mit 4000 Einwohnern, plus Umland mit doppelt so vielen Menschen, eine für vorpommersche Verhältnisse gute Versorgung. Denn in Einzelpraxen praktizieren derzeit noch vier Hausärzte und zwei Fachärzte.
Doch Lode hat das Gesundheitshaus vorangetrieben, weil zwei Hausärzte das Rentenalter schon lange überschritten haben. Einer von ihnen hat seinen Abschied für den Zeitpunkt der Eröffnung angekündigt.
Das Gleiche gilt für Augenärztin Christa Hansmann. Eigentlich hatte sie ihren Ruhestand schon vor Monaten geplant. Bis Sommer hat die 64-Jährige verlängert, um einen reibungslosen Übergang für ihre Patienten zu schaffen.
HNO- und Augenarzt im Wechsel
Augenärztliche Untersuchungen sollen künftig in einem von insgesamt drei Räumen, die für fachärztliche Sprechstunden im Gesundheitshaus vorgehalten werden, stattfinden. Lode geht in einen rund 20 Quadratmeter großen Raum an der Vorderseite des Gebäudes.
Hier soll im Wechsel mit einem HNO-Kollegen ein Augenarzt oder eine Augenärztin die Sprechstunden halten. Sie werden Tür an Tür arbeiten mit anderen Fachärzten: Im zweiten Raum werden abwechselnd Internist und Orthopäde und im dritten Urologe und Gynäkologe arbeiten. Die Ausstattung stellt die Kommune zur Verfügung.
Bis es soweit ist, sind aber noch viele Details zu klären. Daran wird rund 30 Kilometer weiter nordwestlich mit Hochdruck gearbeitet. Im Neubrandenburger Ärztehaus an der Marienkirche hat Gernot Kunzemann sein Büro.
Von dort aus managt er seit Jahrzehnten eines der größten Ärztehäuser des Landes mit rund 30 Praxen. Kunzemann nimmt den Ärzten die Verwaltung ab und ist bestens vernetzt, auch mit dem örtlichen Klinikum.
Wenn jemand in der Region Ärzte kennt und sich mit den Fallstricken der Bürokratie auskennt, dann er. Dass selbst der Verwaltungsprofi die Besetzung der Praxen noch nicht spruchreif unter Dach und Fach hat, wirft ein Licht auf das Dickicht der Verwaltungsvorschriften, die bei einem solchen Projekt zu beachten sind. Kunzemann ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass er Vollzug erst mit Eröffnung melden kann.
"Wir werden auch am ersten August noch nicht die perfekte Lösung haben", warnt Kunzemann vor Euphorie. Aber er bestätigt: "Eine Hausärztin wird sich freiberuflich im Gesundheitshaus in Woldegk niederlassen." Auch die KV in Schwerin bestätigt auf Anfrage, dass eine Zulassung für Woldegk erteilt wurde.
Für alle weiteren Besetzungen bleibt Kunzemann vorsichtig. "Das ändert sich täglich", lautet seine Erfahrung. Kunzemann hält es für möglich, dass die zweite Hausarztstelle mit angestellten Ärzten besetzt wird. Für die fachärztliche Versorgung seien Nebenbetriebsstellen von schon niedergelassenen Ärzten denkbar, aber auch komplette Übernahmen von Vertragsarztsitzen.
Ständig kreative Begleitung nötig
In den Verhandlungen mit den Ärzten ist der Verwaltungsmann weiter, als er preisgeben kann. Für ihn steht aber fest, dass die Versorgung in Woldegk dauerhaft nur angemessen erfolgen kann, wenn sich nicht alle Beteiligten zur Eröffnung zurücklehnen. "Das Gesundheitshaus braucht eine ständige, kreative Begleitung, in die sich alle einbringen müssen."
Damit lässt Kunzemann durchblicken, dass Ministerium, Behörden und Körperschaften auch weiter nicht nur auf Paragrafen schauen können, sondern abseits der etablierten Wege nach Lösungen suchen müssen.
Zurück nach Woldegk ins Gesundheitshaus. Lode steht in der großzügigen Anmeldung. "Schreiben Sie, dass es eine Freude sein wird, hier zu arbeiten", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Tatsächlich kann man zwischen Handwerkern zumindest erahnen, dass das fertig eingerichtete Gesundheitshaus allein durch sein Platzangebot und die Zusammenarbeit unter einem Dach Ärzten mehr entgegenkommt, als dies eine einzeln übernommene Praxis kann.
"Die jungen Ärzte wollen ja heute lieber angestellt und zusammen arbeiten", weiß Lode aus seinen langjährigen Bemühungen. Befürchtungen, dass die bestehenden Einzelpraxen nicht mehr ausreichend Zulauf haben könnten, hat der Bürgermeister wegen der bevorstehenden Rente einiger Ärzte nicht. Dies gilt auch für Hausarzt Richard Bader.
"Da wir zwei Kollegen über dem Rentenalter haben, wird das Gesundheitshaus keine Konkurrenz", sagt Bader.
Er begrüßt das neue Angebot und lobt seinen Bürgermeister für dessen jahrelangen Einsatz: "Das Gesundheitshaus füllt eine Lücke." Auch seine Kollegin Christel Ehlert hat keine Angst, dass ihr die Patienten ausbleiben. Zwei Hausarztpraxen im Gesundheitshaus, sagt sie, seien aber ausreichend für Woldegk.
Gegen Widerstände durchgesetzt
Vielleicht kommen ja sogar Woldegker Patienten, die sich wegen der Versorgungsprobleme derzeit in anderen Städten behandeln lassen, zurück zu Hausärzten in ihrer Heimatstadt. Der sonst so nüchterne Lode erlaubt sich einen Moment lang, als er darüber nachdenkt, ein klein wenig Genugtuung.
Dann denkt er an die vielen Augenblicke, als wieder eine Absage kam, wieder ein Paragraf eine Möglichkeit ausschloss und wieder eine Tür zu war. Am Ende hat er zusammen mit Kunzemann diese Lösung gegen viele Widerstände durchgeboxt.
Dieser Erfolg wird, da sind sich beide einig, viele Väter haben: "Da werden sich viele auf die Schulter klopfen." Für die Woldegker ist das zweitrangig. Ab ersten August wird ihre ärztliche Versorgung über dem Niveau der Region liegen.
Landarzt gesucht - eine Aktion zieht Kreise
Es war eine Aktion, die bundesweit für Aufsehen sorgte: mit der Initiative "Landarzt gesucht" für die Kleinstadt Woldegk schafften es der AOK Bundesverband und Springer Medizin vor zwei Jahren, die breite Öffentlichkeit für das Thema Ärztemangel auf dem Land zu sensibilisieren.
Es war die erste Aktion, die dieses Thema medial von allen Seiten in verschiedenen Facetten und über einen Zeitraum von einem halben Jahr aufgriff. Praxisabgeber und verbleibende Ärzte schilderten ihre Situation, die Kommune berichtete von ihren Anstrengungen und über die Bedingungen, die sie bietet. Das Management des Ärztehauses im benachbarten Neubrandenburg erläuterte seine Pläne für den Betrieb eines Gesundheitshauses. Auch die damalige Landesgesundheitsministerin Manuela Schwesig griff das Thema auf und lobte die Aktion. Sie sprach sich dafür aus, eingefahrene Wege zu verlassen und auf eine Vernetzung und verstärkte Teamarbeit zu setzen.
Schnell wurde auch deutlich: Die Verdienstmöglichkeiten in der Region sind für Hausärzte sehr gut. Die KV-Fördermöglichkeiten und die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Niederlassung in Woldegk wurden transparent gemacht. Auch die medizinische Infrastruktur der Region kam unter die Lupe: Sie ist besser als in vielen anderen Kommunen vergleichbarer Größe und bietet Hausärzten noch die Unterstützung aus anderen Fachbereichen und anderer Gesundheitsberufe.
Große Aufmerksamkeit erreichte das Thema auch unter den Allgemeinärzten und ihren Verbänden und Organisationen, nachdem der Lehrstuhlinhaber des Instituts für Allgemeinmedizin in Rostock in einem Interview zur Kampagne deutlich gemacht hatte, was der Nachwuchs für Bedingungen an eine landärztliche Tätigkeit stellt.
Das Interesse an der Region Woldegk stieg auch, weil die Kampagne Land und Leute vorstellte. Die Bevölkerung schilderte, warum ihre Region lebenswert ist und was den Charme des Landstrichs nahe der Mecklenburger Seenplatte ausmacht.
"Das einzige, was Woldegk fehlt, sind weitere Hausärzte", sagte damals eine Einwohnerin der "Ärzte Zeitung", die Woldegk zum Top-Thema machte, es in mehr als zehn Ausgaben aufgriff und damit dazu beitrug, das auch außerhalb der Fachkreise differenziert über die Zukunft der hausärztlichen Versorgung auf dem Land diskutiert wurde .
Die Kampagne führte zu Anfragen von Ärzten. Dass es am Ende nicht zur Übernahme einer Einzelpraxis kam, bestätigt den seit Längerem zu beobachtenden Trend: Jüngere Ärzte bevorzugen das Arbeiten im Team und wollen sich zumindest zu Beginn der Niederlassung nicht gleich mit wirtschaftlichen Risiken auseinandersetzen. Diese Bedingungen sind kurz vor der Einweihung mit dem Gesundheitshaus Woldegk erfüllt und die Kleinstadt hat ihr Ziel erreicht. (di)