Aus Protest

Großer Streik der französischen Ärzte

In Frankreich soll das Gesundheitssystem stark reformiert werden. Nun formiert sich Widerstand. Die Ärzte wehren sich gegen die Regierungspläne mit einem großen Streik.

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PARIS. Seit dem 23. Dezember und mindestens bis Neujahr bleiben 70 bis 80 Prozent aller Arztpraxen in Frankreich geschlossen.

Die niedergelassenen Ärzte streiken, weil die Regierung das gegenwärtig gültige Kostenerstattungssystem abschaffen und ein Sachleistungssystem ähnlich wie in Deutschland einführen will.

Obwohl die meisten Ärzte Europas schon nach diesem Modell vergütet sind, meinen französische Ärzteverbände, dass nur das Kostenerstattungsprinzip den Arztberuf als freien Beruf sichern kann.

Der Streik läuft so gut, dass die Regierung in vielen Kreisen seit dem 26. Dezember Ärzte zum Dienst verpflichten musste, weil die öffentlichen Notdienste überlastet waren.

Der Streit gilt als eine Prinzipienfrage, in der rein wirtschaftliche Aspekte nicht im Vordergrund stehen, auch wenn sie eine indirekte Rolle spielen.

Ärzte ohne Vertretung durch KVen

In Frankreich gibt es keine Institutionen wie zum Beispiel die deutschen Kassenärztlichen Vereinigungen, die für die Abrechnung und die Verteilung des Honorars zuständig sind. Jeder Arzt rechnet allein ab und wird von dem Patienten nach jeder Konsultation nach einem Hausbesuch sofort bezahlt.

Nach einigen Tagen bekommt der Patient sein Geld von der gesetzlichen Krankenkasse zurück, die ca 70 Prozent der Kosten übernimmt, sowie von seiner "Mutuelle”, der privaten Krankenversicherung, die den Rest der Kosten abdeckt.

Die ärmsten Patienten, sowie bestimmte Gruppen von chronisch kranken Patienten brauchen aber keinen einzigen Cent vorzustrecken: Für sie gilt das Prinzip des sogenannten "Tiers Payant” ("Drittzahler”), was bedeutet, dass der Arzt für Leistungen bei diesen Patienten direkt von der Kasse bezahlt wird.

Obwohl viele Ärzte einen hohen Anteil von Patienten nach dem "Tiers Payant" behandeln, sind sich die Ärzteverbände einig darüber, dass dieses System nicht zur allgemeinen Regel werden soll. Sie meinen, dass der "Tiers Payant" für alle Patienten die Abhängigkeit der Ärzte von den Krankenkassen verstärkt.

Was passiert, fragen die Verbände, wenn Kassen aus irgendwelchen Gründen die Ärzte nicht mehr bezahlen wollen?

Darüber hinaus ist der "Tiers Payant" für Ärzte verhältnismäßig bürokratisch und zeitaufwändig, vor allem für Hausärzte, die im Gegensatz zu den meisten anderen Ärzten Europas, sehr oft allein arbeiten und sich eine Vollzeitsekretärin oder Medizinische Fachangestellte nicht leisten können.

Ärzte, die viele Patienten nach dem "Tiers Payant" behandeln, müssen schon viel mehr bürokratische Arbeiten als ihren Kollegen leisten, aber zumindest machen sie es freiwillig im Interesse ihren eigenen Patienten. Die Ärzteschaft weigert sich aber kategorisch, so viel Zeit für alle Patienten zu opfern, und betont, dass der Großteil ihren Patienten das auch nicht von ihnen fordert.

Wahlkampfversprechen des Präsidenten

Doch ist diese Reform für Sozialministerin Marisol Touraine auch eine Prinzipienfrage: "Im Namen der Sozialgerechtigkeit” hatte 2012 Staatspräsident François Hollande versprochen, das Sachleistungsprinzip für alle Patienten einzuführen.

Deswegen will und kann die Ministerin diese politisch hochsensible Frage nicht zurückziehen, ohne das Gesicht zu verlieren.

Umfrage zeigen, dass die Franzosen über das Thema uneinig sind: Rund 60 Prozent von ihnen halten den Streik für richtig, auch wenn viele meinen, dass das Jahresende eine schlechte Zeit für einen so harten Streik ist. Von der Regierung ist derzeit nichts zu hören.

Am 28. Dezember haben aber Verbände gewarnt: Zieht Marisol Touraine ihren Entwurf nicht zurück, geht der Streik Anfang Januar weiter.

Darüber hinaus streiken die Ärzte auch gegen andere Vorhaben der Ministerin, auch wenn ihre anderen Forderungen in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen werden als die Kostenerstattungsfrage. Unter anderen sollen Apotheker das Recht bekommen, erwachsene Patienten gegen einige Krankheiten zu impfen, was Ärzte für gefährlich halten.

Geplant ist auch eine Bedarfsplanung für die Niederlassung von Ärzten. In bestimmten Gebieten soll eine Niederlassung nur noch nach Zulassung durch die Regionalen Gesundheitsbehörden möglich sein. Auch dieses Vorhaben schmeckt den Ärzten in Frankreich nicht. (DDB)

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