Kritik an Pflegereform

Heimpflege: Jeder Dritte muss Sozialhilfe beantragen

Die von der großen Koalition beschlossene Pflegereform bremst nur vorübergehend den Trend, dass immer mehr Pflegebedürftige nicht mehr die Heimunterbringung bezahlen können, sagt eine Studie aus.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Nach einer kurzfristigen Entlastung werden im Jahr 2025 rund 35 Prozent der im Heim lebenden Pflegebedürftigen von der Sozialhilfe abhängig sein. Das geht aus einem neuen Gutachten des Gesundheitsökonomen Professor Heinz Rothgang hervor.

Nach einer kurzfristigen Entlastung werden im Jahr 2025 rund 35 Prozent der im Heim lebenden Pflegebedürftigen von der Sozialhilfe abhängig sein. Das geht aus einem neuen Gutachten des Gesundheitsökonomen Professor Heinz Rothgang hervor.

© Sina Schuldt / dpa

Hamburg/Berlin. Die Entlastungen für Pflegebedürftige durch die „kleine Reform“ der großen Koalition wirken nur wie ein Strohfeuer. Mit dem im Juni vom Bundestag beschlossenen Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) wurde ein nach Dauer der stationären Pflege gestaffelter Zuschuss zu den pflegebedingten Eigenanteilen beschlossen. Dieser reduziert die Eigenanteile zwar kurzfristig, ist „aber nicht systematisch zur Begrenzung der Eigenanteile bei steigenden Pflegekosten geeignet“, heißt es in einer Studie des Bremer Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang für die DAK.

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Bereits im vergangenen Jahr hat das Statistische Bundesamt einen starken Anstieg bei der Hilfe zur Pflege verzeichnet. Die Zahlungen für diese Grundsicherung im Pflegefall sind um 14 Prozent im Vergleich zu 2019 auf 4,3 Milliarden Euro gestiegen.

Nur kurzfristige Entlastung durch das GVWG

Im laufenden Jahr werden fast 35 Prozent der Pflegebedürftigen Hilfe zur Pflege, also Sozialhilfe, beantragen müssen. Dieser Wert wird 2022 bedingt durch die kurzfristigen Entlastungseffekte des GVWG auf 30,5 Prozent sinken. Doch schon 2025 wird die Quote der Sozialhilfeempfänger in der Pflege mit 34,3 Prozent fast wieder den Ausgangswert erreicht haben, heißt es in der Studie.

Die Summe der privat aufzubringenden Eigenanteile werde von durchschnittlich 1828 Euro (2021) auf 1614 Euro (2022) gesenkt, erreicht dann im Jahr 2025 wieder ein neues Maximum von 1879 Euro. Dies sei das Ergebnis einer „Reduktion“ statt einer tatsächlichen „Begrenzung“ der Eigenanteile, so Rothgang. Denn die Leistungszuschüsse seien so niedrig angesetzt, „dass sie im Durchschnitt nicht einmal in der Lage sind, die reformbedingten Anstiege der Pflegesätze zu kompensieren – geschweige denn diese Eigenanteile zu senken“.

Durch das GVWG werden ab kommendem Jahr durch Leistungszuschläge zu den Eigenanteilen fünf Prozent der pflegebedingten Eigenanteile im ersten Jahr des Heimaufenthalts, 25 Prozent im zweiten Jahr, 45 Prozent im dritten Jahr und 70 Prozent bei längerem Heimaufenthalt durch die Pflegeversicherung übernommen. Doch andere Regelungen im GVWG wirken den Entlastungen diametral entgegen – so etwa die zu erwartenden Steigerungen der Heimentgelte durch die Verpflichtung zur Entlohnung auf Tarifniveau und die Refinanzierung von zusätzlichem Personal.

Minireform versagt bei Lebensstandardsicherung

In der Gesamtschau urteilt Rothgang, es handele sich beim GVWG um eine „Pflegereform light“. Die sozialstaatliche Grundidee einer „Lebensstandardsicherung gegen das Risiko Pflegebedürftigkeit“ werde auf diese Weise „weiterhin nicht realisiert“.

Der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm nannte die Ergebnisse des Gutachtens „alarmierend“. „Wir brauchen dringend verlässliche und finanzierbare Heimkosten für Pflegebedürftige“, forderte er. Nötig sei dafür eine neue „Finanzstatik“. Storm plädierte dafür, die Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu deckeln und damit kalkulierbar zu machen. Dies würde es auch dem Einzelnen ermöglichen, Eigenvorsorge für das Risiko der Pflegebedürftigkeit zu betreiben, argumentierte er.

Nach den Berechnungen Rothgangs produziert die kleine Pflegenovelle zudem eine reformbedingte Deckungslücke von 1,1 Milliarden Euro im kommenden Jahr, die schrittweise auf 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2025 wachsen wird.

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