Hobbypraxen sorgen für Zwist

Viele Tausend Vertragsärzte behandeln deutlich weniger Patienten als die Mehrheit ihrer Kollegen. Heißt das gleichzeitig, dass sie den Versorgungsauftrag vernachlässigen? Ja, meinen Kritiker. Nein, kontern die Ärzte.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Ärztemangel und lange Wartezeiten: Sind dafür Hobbypraxen verantwortlich, die trotz einer vollen Kassenzulassung bewusst ihren Versorgungsbeitrag für die gesetzlich Versicherten vernachlässigen? Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender, meint ja.

Laut der Antwort der Regierung auf eine parlamentarische Anfrage ihrer Fraktion gibt es viele Tausend niedergelassene Ärzte vor allem in den alten Ländern, die deutlich weniger Kassenpatienten behandeln als ihre Kollegen.

Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), auf die sich die Regierung stützt, zeigen dies auf. So rechnet in Hessen mehr als ein Drittel der Anästhesisten (36,3 Prozent) weniger als ein Viertel der durchschnittlichen Fallzahl ihrer Bedarfsplanungsgruppe ab.

In Westfalen-Lippe gilt dies für ein Drittel der Fachinternisten, in Bremen, Berlin, Niedersachsen und Hamburg für rund ein Drittel der Nervenärzte. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Schauen KVen nicht genau hin?

Hausärzte mit so geringen Fallzahlen gibt es deutlich weniger. In Berlin, Hamburg und Bayern gibt es mehr als neun Prozent Hausärzte, die deutlich weniger Scheine als die Kollegen schreiben. In den anderen Bundesländern liegen die Werte darunter.

Für Bender ist dies ein Indiz dafür, dass es Vertragsärzte gibt, die weniger als die geforderten 20 Wochenstunden für gesetzlich Versicherte aufwänden. Sie unterstellt den für die Überprüfung der Zulassungsvoraussetzungen verantwortlichen Kassenärztlichen Vereinigungen, absichtlich nicht genau hinzuschauen.

Und dies, obwohl Staatssekretärin Ulrike Flach (FDP) in der Antwort ausdrücklich darauf hinweist, dass die KVen bei Verstößen gegen diese Vorgabe tätig werden müssten.

Wenn sich Ärzte nicht im vorgesehenen Umfang um kranke Menschen kümmerten und dadurch Wartezeiten entständen, sei dies ein starkes Stück, sagte Florian Lanz, der Sprecher des GKV-Spitzenverbands.

Vertreter der Ärzteverbände weisen Vorwürfe zurück

Für den Chef der KV Westfalen-Lippe, Dr. Alexander Dryden, ist es fahrlässig, aus den Daten der KBV zu schließen, dass die Vertragsärzte die Versorgung vernachlässigten.

"Ein angeblich mangelnder Versorgungsumfang für GKV-Patienten und eine gleichzeitige Bevorzugung privat Versicherter ist nirgends belegt", sagte Dryden der "Ärzte Zeitung".

Der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, weist auf die möglichen Gründe hin, warum Praxen wenig Scheine abrechnen. So gebe es Praxen mit "hoher Behandlungstiefe", die vergleichsweise wenige schwerstkranke Patienten behandelten.

Die Durchschnittszahlen seien kein Maß, um den Umfang der ärztlichen Tätigkeit feststellen zu können. Sie gäben allenfalls vage Anhaltspunkte, sagte Heinrich. Der NAV-Chef machte deutlich, dass Ärzte, die bewusst geringe Scheinzahlen produzierten, nicht erwünscht seien.

In die gleiche Kerbe schlägt Dr. Klaus Reinhardt, der Vorsitzende des Hartmannbundes. Fallzahlen gäben weder Aufschluss über die differierenden Behandlungsangebote von Praxen noch berücksichtigten sie die Therapiedauer. Ungleichgewichte könnten auch auf das Recht der freien Arztwahl zurückzuführen sein.

KBV-Vhef regt Diskussion über Versorgungsbeiträge aller Praxen an

Laut KBV muss man bei den Fallübersichten berücksichtigen, dass die Zahl der Fälle auch auf Grund unterschiedlicher Therapieausrichtungen innerhalb der gleichen Fachgruppe erheblich variieren könne. Ärzte, die sich mehr Zeit nähmen oder operative Leistungen erbrächten, hätten weniger Fälle.

KBV-Chef Dr. Andreas Köhler regte eine innerärztliche Diskussion um den Versorgungsbeitrag jeder Arztpraxis an. Es gebe insbesondere auf dem Land lange Wartezeiten.

Er stellte die Frage: "Nehmen alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten entsprechend ihres Zulassungsumfangs an der Versorgung teil und stehen für Behandlungen zur Verfügung?" Diese Frage müsse im Zuge der neuen Bedarfplanung innerärztlich diskutiert werden.

Das Gesundheitsministerium bestätigte, dass die Zulassungsausschüsse mit der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie in die Lage versetzt werden sollen, die echten schwarzen Schafe zu identifizieren.

Lesen Sie dazu auch: Der Standpunkt: Hobbypraxen unerwünscht

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