Warnrufe
Intensivmedizin steht kurz vor dem Limit
Intensivmediziner schlagen Alarm: Wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen nicht sinkt, sei in etwa zehn Tagen die reguläre Kapazität von Intensivbetten erschöpft. Den Beitrag der Hausärzte im Kampf gegen die Pandemie bezeichnen die Professoren als „eklatant wichtig“. Die Krankenhäuser müssten auf Notbetrieb schalten, warnt die DKG.
Veröffentlicht:Berlin. Intensivmediziner haben ungeachtet der Absage der Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Montag (12. April) zu einem harten Lockdown von zwischen zwei und drei Wochen aufgerufen, „besser heute als morgen“. Die Sieben-Tage-Inzidenz liege deutschlandweit nach Analyse des Geschehens auf den Intensivstationen wohl eher bei 160 bis 170 als bei 110, wie aktuell vom Robert-Koch-Institut gemeldet.
„Es gibt keine Zeit für Öffnungsgeschehen“, warnte der Präsident Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI), Professor Gernot Marx, bei einer Online-Pressekonferenz am Freitag. Ohne harte Einschnitte bei den Kontakten und der Mobilität überschritten die Intensivstationen in wenigen Tagen den bisherigen Höchststand der Intensivbettenbelegung vom 3. Januar 2021. Zum Höhepunkt der zweiten Corona-Welle zu Jahresbeginn waren 5745 Intensivbetten von Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion belegt.
Gesundheitssystem am Anschlag
Derzeit sind ausweislich des DIVI-Intensivregisters 2.900 Intensivbetten frei. Allerdings hätten nur 400 Krankenhäuser keine Probleme, Intensivpatienten aufzunehmen. Etwa 1280 Krankenhäuser beliefern das Register mit Daten.
Deutschland stehe kurz davor, sein Gesundheitssystem zu überlasten, sagten die Vertreter der DIVI. Allein der Anstieg der Neuinfektionen um rund 25.000 am Freitag bedeute hochgerechnet im ungünstigsten Fall bis zu 750 Intensivpatienten mehr in wenigen Wochen, rechnete DIVI-Postpräsident Uwe Janssens vor.
Kapazitäten gehen zur Neige
Sinke die Zahl der Neuinfektionen nicht, sei in etwa zehn Tagen die reguläre Kapazität von Intensivbetten erschöpft, akzentuierte der Leiter des DIVI-Intensivregisters Professor Christian Karagiannidis die Begrenztheit der Ressourcen. Wegen der Reservekapazitäten müsse voraussichtlich aber nicht mit einer Triage unter COVID-19-Patienten gerechnet werden.
Begrenzender Faktor der Intensivkapazitäten ist das Personal. „Die Anzahl einsetzbarer Intensivpflegekräfte bestimmt, wie viele Betten betrieben werden können“, sagte Karagiannidis. Es müsse klar sein, dass die Notfallreserve an Intensivbetten nur mit einer „Verdünnung“ der Personalschlüssel betrieben werden könne.
Die Kliniken benötigten deutlich mehr Intensiv-Pflegekräfte. Tatsächlich lasse sich aber eine Abnahme der Arbeitskraft auf den Intensivstationen beobachten.
Wichtige Rolle der Hausärzte
Professor Uwe Janssens, betonte die „eklatant wichtige“ Rolle der Hausärzte im Pandemiegeschehen und für das Funktionieren der Intensivstationen. Neun von zehn COVID-19-Patienten würden im ambulanten Bereich behandelt. Mit dem Start der Impfkampagne in den Praxen wachse ihre Bedeutung sogar noch an.
Für die reguläre Versorgung erweist sich die Pandemie zusehends als fatales Ereignis. Insgesamt sei die Zahl elektiver Operationen bei vielen Indikationen rückläufig. Um die aufgeschobenen Operationen aufzuarbeiten, müssten die Chirurgien 27 Wochen am Stück etwa mit 110 Prozent ihrer Leistung aus der Vor-Corona-Zeit arbeiten, rechnete Professor Frank Wappler vor. Auch dabei wirke der Pflegepersonalmangel begrenzend.
DKG: „Müssen in den Notbetrieb“
Die gemeinsam von Bund und Ländern beschlossene Notbremse müsse ohne Wenn und Aber in allen Bundesländern und Landkreisen angewendet werden, um einen ungebremsten Anstieg der Infektionen entschlossen entgegenzutreten, forderte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß am Freitag.
Die Infektionslage und die daraus herrührende hohe Belastung der Intensivstationen führe in immer mehr Krankenhäusern zu einer deutlichen Einschränkung der Regelversorgung, warnte Gaß.
Es werde in den kommenden Wochen „absolut nicht mehr möglich sein“, die Regelversorgung parallel zur COVID-19-Behandlung aufrecht zu erhalten, sagte der neue DKG-Chef. Die Krankenhäuser seien gezwungen, fast flächendeckend in den Notbetrieb zu gehen.