Kritik von Opposition und SPD
Intensivpflege-Reform: „Herr Minister, legen Sie uns eine vierte Version vor!“
Der Bundestag hat erstmals die von Gesundheitsminister Spahn eingebrachte Intensivpflege-Reform beraten. Oppositionsredner eint vor allem ein Kritikpunkt. Aber auch die SPD hat noch Klärungsbedarf.
Veröffentlicht:
Bärbel Bas (SPD): Korrekturbedarf an Intensivpflege-Plänen. (Archivfoto).
© Michael Kappeler / dpa
Berlin. Vertreter der Opposition, aber auch des Koalitionspartners SPD haben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufgefordert, den Entwurf für eine Reform der Intensivpflege zu korrigieren. „Der Entwurf geht in die richtige Richtung, aber da müssen wir noch nachschärfen“, sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas bei der ersten Lesung des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes am Mittwochabend im Bundestag.
Spahn hat den ursprünglichen Gesetzentwurf vom August 2019 bereits zwei Mal geändert. Laut aktuellem Entwurf soll außerklinische Intensivpflege in Pflege- und Behinderteneinrichtungen, Intensivpflege-WGs, zu Hause oder in Schulen, Kindergärten oder Werkstätten erbracht werden.
Streit um Selbstbestimmungsrecht
Die Medizinischen Dienste (MD) sollen im Auftrag der Krankenkassen bei „persönlichen Begutachtungen am Leistungsort“ alle zwölf Monate überprüfen, ob die medizinische-pflegerische Versorgung „tatsächlich“ und „dauerhaft“ sichergestellt ist.
Bei Betroffenenverbänden hatte dieser Passus die Sorge genährt, zu Hause lebende intensivpflegebedürftige Patienten könnten aus ihrem Umfeld „herausgerissen“ werden. Die im Entwurf aufgeführten Begrifflichkeiten „tatsächlich“ und „dauerhaft“ seien viel zu schwammig. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel (SPD), hatte bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses an die UN-Behindertenrechtskonvention erinnert.
Die sei auch von der Bundesrepublik unterzeichnet worden und verpflichte den Staat dazu, Menschen mit Behinderungen die freie Entscheidung über ihren Aufenthalts- und Wohnort zu gewähren. Wenn am Ende die Kasse entscheide, werde dieses Recht ausgehebelt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Thomas Gebhardt (CDU), sagte, Leistungen der außerklinischen Intensivpflege könnten weiter bei den Versicherten zu Hause erbracht werden, „sofern die medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt werden kann“.
„Wir wollen, dass Wahlfreiheit herrscht“, unterstrich auch Erwin Rüddel von der CDU. Der Entwurf sei dahingehend schon nachgebessert worden. „Wir sollten uns emotional etwas zurückfahren“, mahnte der Gesundheitsausschuss-Vorsitzende.
„Am Ende entscheidet die Kasse“
Vertreter der Opposition betonten dagegen, das Selbstbestimmungsrecht komme weiter deutlich zu kurz. Häusliche Intensivpflege sei im Gesetzgebungsprozess zwar „gnädig und nach massiven Protesten“ wieder zugelassen worden, so Professor Axel Gehrke von der AfD. „Allerdings nur unter erheblichen formalen, bürokratischen und finanziellen und damit vor allem entehrenden Einschränkungen.“
Auch Nicole Westig von der FDP warnte davor, das Recht auf selbstbestimmtes Leben in der Häuslichkeit einzuschränken. Das aber drohe Menschen mit Intensivpflegebedarf. Sie hätten Angst, dem MD Pflegemängel nicht mehr melden zu dürfen, „weil dieser sie sonst in ein Heim steckt“.
Pia Zimmermann von der Linksfraktion sagte, der Entwurf zeuge von „schlechter Regierungsarbeit“. „Rein theoretisch“ könnten Menschen mit Intensivpflegebedarf entscheiden, wo und wie sie leben wollten. Tatsächlich entschieden aber die Kostenträger darüber. Das sei ein „verfehlter Ansatz“. An Spahn adressierte sie: „Legen Sie uns eine vierte Version vor, in der Sie das richtiggestellt haben.“
Die Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik, Corinna Rüffer, zeigte sich verärgert, dass das Parlament zu einem Zeitpunkt über Intensivpflege debattiere, zu dem Betroffene wegen der geltenden Corona-Beschränkungen nicht die Möglichkeit hätten, „ihre Stimme laut zu erheben“.