Vater, Mutter, Kind
Juristentag rührt am Fortpflanzungsrecht
Durch die Reproduktionsmedizin muss Familie neu definiert werden. Aus Sicht des Juristentags hat das deutsche Familienrecht Patina angesetzt. Der Bundestag zögert, weil Kernfragen des Fortpflanzungsrechts berührt werden.
Veröffentlicht:ESSEN. Der Deutsche Juristentag in Essen diskutiert weitreichende Reformen im Familienrecht mit dem Ziel, der neuen Vielfalt familiärer Lebenswirklichkeit besser gerecht werden zu können. Denn der Gesetzgeber hinkt bei dem Thema weit hinterher.
Vater, Mutter und Kind bilden eine Familie – so einfach ist das schon längst nicht mehr. Die moderne Reproduktionsmedizin stellt traditionelle Vorstellungen von Familie in Frage. Die Zeugung eines Kindes kann vom Geschlechtsakt getrennt werden, biologische und soziale Elternschaft können auseinanderfallen.
Viele Rechtsfragen – die Gewährleistung der Elternrechte, das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung oder das Recht auf Kenntnis der Abstammung – stellen sich neu. Zugleich stammt das für die Fortpflanzungsmedizin einschlägige Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1991.
Es verbietet Verfahren wie beispielsweise die Eizellspende, die in anderen europäischen Staaten erlaubt ist.
Eingetragene Lebenspartner sollen Möglichkeit zur Adoption bekommen
Am Donnerstagnachmittag will die Versammlung der rund 3000 Juristen seine Beschlüsse vorlegen. Bereits die vorab präsentierten Thesen und Gutachter lassen aufhorchen. So stellt der Marburger Familienrechtler Professor Tobias Helms weitreichende Vorschläge zur Diskussion – Beispiele:
Er schlägt vor, eingetragenen Lebenspartnern die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Adoption zu eröffnen. Lesbische Paare, die über eine Samenspende ein Kind bekommen, bleibt bisher nur der Weg über die Stiefkindadoption.
Ein zentrales Spenderregister muss eingerichtet werden, in dem dokumentiert wird, wenn ein Kind aufgrund einer Keimzellenspende gezeugt wird. Die Familienrechtlerin Professor Dagmar Coester-Waltjen fordert seit langem, die derzeitigen "kafkaesken ministerialen Zuständigkeiten" könnten nur durch ein vom Bund geschaffenes Zentralregister überwunden werden.
Zahlen über die nach einer Samenspende in Deutschland lebenden Kinder gibt es nicht.
Brisanter Vorschlag zur Leihmutterschaft
‚Am brisantesten ist der Vorschlag von Helms zur Leihmutterschaft: Danach sollte eine im Ausland etablierte Elternschaft der "Wunscheltern" in Deutschland "im Allgemeinen" akzeptiert werden. Dies liegt völlig quer zum deutschen Recht. Denn Herbeiführung und Vermittlung einer Leihmutterschaft sind nach dem Embryonenschutzgesetz strafbar.
Auch in der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD im Bundestag heißt es: "Die Leihmutterschaft lehnen wir ab".
Doch mit dem Verbot im Inland ist es nicht getan, wenn Paare ins Ausland gehen. Dann allerdings wird die sogenannte Nachbeurkundung von Kindern in Deutschland schwierig, die nach einer Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden.
Nach deutschem Abstammungsrecht ist die Leihmutter die rechtliche Mutter – sonst niemand (Paragraf 1591 BGB). Doch im Dezember 2014 gab der Bundesgerichtshof in einem Aufsehen erregenden Verfahren einem schwulen Paar Recht (Az. XII ZB 463/13).
Die beiden ließen in Kalifornien – legal – ein Kind von einer Leihmutter austragen. Ein US-Gericht legte den Samenspender und dessen Partner als Eltern fest. In Deutschland scheiterten beide zunächst mit dem Versuch, sich als Wunscheltern beurkunden zu lassen.
Doch der BGH entschied, es sei "entscheidend auf das Kindeswohl" abzustellen – das Standesamt wurde angewiesen, die Elternschaft einzutragen.
Der Fall ist typisch: Die Gerichte treiben den Gesetzgeber vor sich her. Die Koalition hatte sich 2013 vorgenommen, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft gesetzlich zu regeln. 2015 wurde eine Kommission im Bundesjustizministerium eingesetzt, die bis Frühjahr 2017 Regelungsvorschläge machen soll.
Es ist unwahrscheinlich, dass es noch bis zur Bundestagswahl zu einer Reform des Abstammungsrechts kommt.