Quality-of-Life-Preis
Kinder mit Cerebralparese werten ihre Lebensqualität als gut
Mitleid für Kinder mit Cerebralparese? Völlig fehl am Platz. Denn fragt man die jungen Patienten selber, schätzen sie ihre Lebensqualität als gut ein. Die Pädiaterin Dr. Marion Rapp wurde für ihre Untersuchungen mit dem Quality-of-Life-Preis ausgezeichnet.
Veröffentlicht:BAD HOMBURG. Wenn ein Kind mit einer Cerebralparese zur Welt kommt, ist man als Außenstehender geneigt, den kleinen Patienten wie auch dessen Eltern zu bemitleiden. Je schwerer die Ausprägung der Behinderung, desto mehr erscheint einem die Lebensqualität der Betroffenen gemindert zu sein.
Diese Annahme jedoch ist falsch, wie die Autoren der SPARCLE-Studie 2007 nachwiesen, indem sie die jungen Patienten erstmals persönlich befragten. Auch deren Eltern vertraten mehrheitlich die Auffassung, dass der Schweregrad der Behinderung keinen Einfluss auf die Lebensqualität ihrer Kinder hat. Allerdings förderten ihre Aussagen in einer Folgestudie zutage, was den Betroffenen selbst nicht erwähnenswert schien: dass es vor allem die Schmerzen der Patienten sind, die deren Lebensqualität signifikant verschlechtern.
Pädiaterin erhält ersten Preis
Für ihre Erkenntnisse über die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen mit Cerebralparese hat die Pädiaterin und Kinderchirurgin Dr. Marion Rapp, Mitarbeiterin der Lübecker Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, den diesjährigen Quality-of-Life-Preis erhalten. Der von dem Bad Homburger Arzneimittelhersteller Lilly Deutschland gestiftete Preis zeichnet Forschungsprojekte aus, die Messinstrumente zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität einsetzen oder entwickeln.
Den zweiten Preis erhielt Dr. Julia Caroline Radosa, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum des Saarlands, für ihre Studie über die Lebensqualität und Sexualfunktion nach laparoskopischer Myomtherapie, deren Ergebnisse auch in der aktuellen Leitlinie Hysterektomie berücksichtigt wurden. In Abwesenheit der Preisträgerin nahm ihr Bruder, Privatdozent Marc Radosa, Chefarzt der Gynäkologie an den Agaplesion Diakonie Kliniken Kassel, die Auszeichnung entgegen.
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) ist ein multidimensionales Konstrukt, das physische, psychische und soziale Elemente berücksichtigt und sich an der subjektiven Wahrnehmung Betroffener orientiert. Für ihre Befragung der Eltern von Kindern mit Cerebralparese fasste Marion Rapp die Definition einfacher: "Lebensqualität ist, was ein Mensch über sein Leben denkt und wie er sein Leben empfindet." Zweimal befragte sie insgesamt 551 Eltern (527 Mütter und 27 Väter) zur Lebensqualität ihrer Kinder, 2004/2005 und 2009/2010.
Schmerzminderung ist zentral
Einige Ergebnisse waren zu erwarten, andere durchaus überraschend: Je höher die Lebensqualität in der Kindheit, desto höher war sie auch im Jugendalter der Patienten. Starke akute Schmerzen (etwa Kopf-, Hüft- und Gelenkschmerzen) führten zu einer relevanten Verschlechterung der Lebensqualität, was sich sowohl auf das Wohlbefinden und die Stimmung der Patienten als auch auf ihre Selbstwahrnehmung und Autonomie, die Schule und ihre soziale Akzeptanz auswirkte. Auch Verhaltensauffälligkeiten der Kinder sowie Erziehungsstress ihrer Eltern waren mit einer niedrigeren Lebensqualität assoziiert. Conclusio der Autorin: "Es ist notwendig, bereits in der frühen Kindheit Interventionen vorzunehmen, um die Schmerzen und die psychischen Probleme von Kindern mit Cerebralparese sowie den Erziehungsstress ihrer Eltern zu reduzieren."
Die Bilanz aus 21 Jahren Quality-of-Life-Preis kann sich sehen lassen: Seit 1996 wurden mehr als 400 Arbeiten eingereicht, von denen die Juroren am Ende 45 auszeichneten. Konnte man die Teilnehmer in den Anfangsjahren noch an einer Hand abzählen, waren es auf dem Höhepunkt 2013 bereits 53 und aktuell 34 Wissenschaftler, die sich um den Preis bewarben. "Auch politisch wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität immer wichtiger", sagte Jurymitglied Dr. Johannes Clouth, der den Quality-of-Life-Preis bei Lilly seit 1998 verantwortet und seine Aufgabe im nächsten Jahr an seine Kollegin Tatjana Senin abgibt. Die meisten Einreichungen, so Clouth, stammten erwartungsgemäß aus dem Bereich Onkologie. Dass sich inzwischen jedoch auch Arbeiten mit der Erforschung der Lebensqualität von Müllmännern oder Bäckern befassten, zeige aber, dass das Thema inzwischen in vielen Feldern Beachtung finde.