Hilfsprojekt in Bolivien
Kinderkardiologie auf 4000 Metern Höhe
In Bolivien kommen überdurchschnittlich viele Kinder mit angeborenen Herzfehlern zur Welt. Ein Grund: Die Höhe. Ein Bonner Verein hilft bei der Finanzierung der Diagnostik, Therapie und von Aufklärungskampagnen.
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Kinder, Eltern und Praxismitarbeiter in La Paz bedanken sich für die Hilfe aus Deutschland und Österreich. Herzverein e.V.
© Herzverein e.V.
Bonn. Jhillian ist ein siebenjähriges Mädchen und lebt mit ihrer Familie in El Alto, westlich von La Paz, Bolivien. Jhillian ist herzkrank. Das hat auch etwas damit zu tun, dass El Alto auf 4100 Metern über Meereshöhe gelegen ist. Als eine wesentliche Ursache der Häufung angeborener Herzfehler wird der geringe Sauerstoffgehalt der Luft im Hochland angenommen. In dem Andenstaat leben 60 Prozent der Bevölkerung auf Höhen bis zu 5000 Metern. Bei elf Millionen Einwohnern werden pro Jahr etwa 3000 herzkranke Kinder geboren.
Bei Jhillian war im Alter von acht Monaten eine komplette Fehlmündung einer Lungenvene diagnostiziert worden. Aufgrund der pulmonalen Hypertonie musste notfallmäßig ein Vorhofseptumdefekt als „Überlaufventil“ angelegt werden. Seitdem geht es ihr recht gut. Nur müsste wegen des zunehmenden Shunts der Vorhofseptumdefekt verschlossen und die neu aufgetretene, anfallsartige Herzrhythmusstörung behandelt werden. Ihr Vater, ein Taxifahrer, und ihre Mutter, die mit gelegentlichen Näharbeiten hinzuverdient, können diese Behandlung nicht vollständig bezahlen. Die Prognose des Kindes ist ohne Behandlung ungünstig.
„Wir rechnen damit, dass etwa die Hälfte der Kinder mit angeborenen Herzfehlern ohne Behandlung innerhalb eines Jahres stirbt“, sagt Dr. Alexandra Heath-Freudenthal, Kinderkardiologin in La Paz. „Etwa 25 Prozent überleben fünf Jahre.“ Gerettet werden könnten 85 Prozent dieser Kinder. Vorausgesetzt, sie werden identifiziert und die Behandlung lässt sich finanzieren.
Erste kinderkardiologische Praxis
Nur jeder fünfte Bolivianer hat eine Krankenversicherung, die die Behandlung von Herzfehlern abdeckt. „Ich habe mein Leben den herzkranken Kindern gewidmet“, sagt Alexandra Heath-Freudenthal im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. Sie hat in Bonn, Aachen und München einen Teil ihrer Ausbildung zur Kinderärztin und Kinderkardiologin absolviert.
2003 ging sie zurück in ihre Heimat und eröffnete mit ihrem Mann, Dr. Franz Freudenthal, in La Paz die erste kinderkardiologische Praxis des Landes. „Es kamen mehr Kinder, als wir behandeln konnten.“ Die technischen und finanziellen Möglichkeiten waren beschränkt. Seit 2007 gibt es deshalb den in Bonn gegründeten gemeinnützigen Herzverein e. V.
Mit Spenden aus Deutschland und Österreich werden Geräte, katheterbasierte und herzchirurgische Behandlungen finanziert, die im staatlichen Kinderkrankenhaus in La Paz oder im Hospital Belga in Cochabamba vorgenommen werden.
Oft mehr Vertrauen in Schamanen
Mit regelmäßigen Findungskampagnen in abgelegenen Regionen des Landes versuchen Heath-Freudenthal und Kollegen Kinder und Jugendliche mit angeborenen, aber auch mit erworbenen Herzfehlern zu identifizieren. Denn die verbreitete Armut, Mangelernährung, schlechte Hygiene und Infektionen wie rheumatisches Fieber und die Chagas-Krankheit tragen ebenfalls zur hohen kardialen Morbidität in Bolivien bei.
Eine wichtige Arbeit ist außerdem die Weiterbildung und Schulung von Ärzten und Sozialarbeiterinnen. Letztere spielen bei der Aufklärung eine große Rolle. Denn in der indigenen Bevölkerung vertrauen viele Menschen eher Schamanen und Heilerinnen als Ärzten. Eingriffe am Herzen werden vielfach abgelehnt. Es sind intensive Gespräche notwendig, um die Familien davon zu überzeugen, dass die invasive Behandlung notwendig und oft lebensrettend ist.

Dr. Alexandra Heath-Freudenthal mit einem frisch operierten Kind im staatlichen Kinderkrankenhaus in La Paz. Herzverein e. V.
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Pandemie bremste Spenden aus
Kürzlich reisten die Freudenthals durch Deutschland, um die Arbeit für den Herzverein nach der Pandemie wieder in Schwung zu bringen. „Unsere Warteliste hat sich vergrößert und es sind weniger Spendengelder geflossen, weil verständlicherweise auch in Deutschland und Österreich die Menschen selbst mit der Bewältigung der Coronakrise beschäftigt waren“, erklärt Heath-Freudenthal.
Außerdem soll der telemedizinische Fachaustausch mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland intensiviert werden. Dazu hat der Kardiologe Dr. Heiko Hildebrand aus Gotha, der sich seit 20 Jahren in Bolivien beruflich engagiert, ein Treffen der Freudenthals mit Internisten und Elektrophysiologen in Weimar organisiert. Ziel ist es, gemeinsam mit Expertise und Spezialkathetern die Behandlung von Herzpatienten in Bolivien zu verbessern.
Umgekehrt wollen die deutschen von ihren bolivianischen Kollegen mehr über hierzulande seltene Erkrankungen wie rheumatisches Fieber, Chagas und deren Behandlung lernen und dafür auch selbst in Bolivien präsent sein. Für Jhillian ist außer dem Verschluss des Vorhofseptumdefekts eine elektrophysiologische Diagnostik und Therapie geplant. Dafür erforderliches Material wird gespendet. Über das weitere Vorgehen bei ihr und anderen Patienten soll dann transkontinental bei Videokonferenzen beraten werden.