Freie Betten für COVID-19
Klinikchef hält hohe Corona-Quote für „medizinethisch nicht vertretbar“
Das dauerhafte Freihalten von fast jedem dritten Intensivbett bewertet der Vorstandschef des Nürnberger Klinikums als problematisch. Man habe bei einer zweiten SARS-CoV-2-Infektionswelle genug Zeit aufzustocken.
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Wie viele Intensivbetten müssen wirklich für COVID-Patienten freigehalten werden? Die Meinungen gehen auseinander.
© Bernd Wüstneck/dpa
Nürnberg. Mit deutlichen Worten kritisiert der Chef eines der größten kommunalen Krankenhäuser Deutschlands die Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums bei der Rückkehr zum Normalbetrieb. Konkret geht es um die Zahl der Bettenkapazität. 30 Prozent der Intensivbetten für mögliche COVID-19-Patierten freizuhalten, hält er für problematisch. „Eine so hohe Zahl freier Betten ist medizinethisch nicht vertretbar“, sagt Professor Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg.
Hochfahren jederzeit wieder möglich
Nach dieser Vorgabe müsste das Klinikum Nürnberg 47 Intensivbetten und knapp 400 Betten auf Normalstation ständig freigehalten. Aus Sicht des Klinikchefs sei eine so hohe Zahl überflüssig. „Wir wissen durch unseren engen Austausch mit Gesundheitsamt und Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) immer über das Infektionsgeschehen in der Region Bescheid. Und das bereits Tage oder sogar Wochen, bevor COVID-19-Patienten behandlungspflichtig werden.“ Innerhalb dieser Zeit könne die Klinik ohne Probleme die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stellen, versichert er.
Diese Flexibilität habe das Klinikum Nürnberg in den vergangenen acht Wochen bereits unter Beweis gestellt. Denn mit der Aufforderung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vom 13. März, die Intensivkapazitäten deutlich zu erhöhen sowie alle elektiven, aus medizinischer Sicht nicht dringend notwendigen Behandlungen zu stoppen, habe das Klinikum Nürnberg in kürzester Zeit die Belegung auf 50 Prozent zurückgefahren.
Damit sei Platz für die Behandlung von bislang 190 Patienten mit bestätigter Corona-Infektion und knapp 1400 Verdachtsfällen im Klinikum Nord und Süd geschaffen worden. 170 davon wurden auf den Intensivstationen versorgt.
„Medizinethisch nicht zu verantworten“
Von der Rückkehr zum Normalbetrieb profitierten jetzt vor allem jene Patienten, die in den acht Wochen auf oft wichtige Eingriffe und Behandlungen gewartet oder Gänge zum Arzt aus Sorge vor Ansteckung verschoben hätten. „Aus so manchem vorher planbaren Eingriff wurde dadurch sogar ein Notfall“, sagt Jockwick. Aus Verpflichtung gegenüber diesen Patienten, die lange auf ihre Behandlung gewartet haben, seien wieder mehr Behandlungskapazitäten erforderlich.
Das ist aus seiner Erfahrung vertretbar. „Wenn eine zweite COVID-19-Welle kommt, haben wir ausreichend Zeit, die Kapazitäten für diese Patienten wieder zu erhöhen“, sagt der Nürnberger Klinikchef. „Jetzt so viele Betten freizuhalten, obwohl sie benötigt werden, ist medizinethisch nicht zu verantworten.“ (bfe)