Flutkatastrophe
Klinikevakuierung in Leverkusen: „Ein Notfall der besonderen Art“
Das Hochwasser hatte das Klinikum Leverkusen nahezu komplett lahmgelegt. Was es bedeutet, ein so großes Haus – in dem es keinen Strom und kein Telefon mehr gibt – zu evakuieren, wissen die Mitarbeiter jetzt.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Leverkusen. Auf diese Premiere hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikums Leverkusen gern verzichtet: Am 14. und 15. Juli kam es zur ersten Evakuierung des Hauses seit der Eröffnung im Jahr 1956. Wegen der Folgen des Sturmtiefs „Bernd“ mussten alle Patienten in andere Kliniken verlegt werden – eine Mammutaufgabe. „Wir hatten gedacht, Corona wäre eine Herausforderung für uns, aber durch die Evakuierung sind wir eines Besseren belehrt worden“, sagt Annette Lenz-Holdinghausen von der Pflegedienstleitung des Klinikums im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Das Krankenhaus mit 740 Betten liegt neben dem Flüsschen Dhünn, das durch den Dauerregen am 14. Juli angeschwollen und übergelaufen war. Wassermassen hatten in den Untergeschossen mehr als 4500 Quadratmeter überflutet. Die Stromversorgung fiel aus, auch zwei der drei Notstromaggregate wurden zerstört.
Weder die EDV noch die Telekommunikation funktionierten noch. Medizinische Geräte mussten zum Teil mit Akkus betrieben werden. Untereinander und mit der Außenwelt konnten die Mitarbeitenden in der Klinik nur noch mit ihren privaten Handys in Kontakt bleiben.
Kinderintensivstation über das Treppenhaus verlegt
In einem ersten Schritt beschloss der Krisenstab des Klinikums, zu dem auch Lenz-Holdinghausen gehörte, die Evakuierung der Intensivstation und der Kinderintensivstation. Das Klinikum in kommunaler Trägerschaft ist ein Perinatalzentrum des Levels 1. „Da die Aufzüge ausgefallen waren, wurden die Kinder zunächst über das Treppenhaus auf die Erwachsenen-Intensivstation gebracht“, berichtet sie.
In der Nacht wurden 34 Intensivpatientinnen und -patienten evakuiert, am nächsten Tag waren dann alle weiteren an der Reihe. Den ganzen Tag waren rund um das Haus Krankentransportwagen unterwegs. „Wie Anwohner berichtet haben, war das wohl ziemlich gespenstisch.“
Bilder von der Evakuierung des Klinikum Leverkusens
Insgesamt 510 Menschen wurden auf 59 andere Häuser in der näheren und ferneren Umgebung verteilt. Ein Patient wurde sogar bis nach Offenburg gebracht, weil er dort zuhause ist. „Die Krankenhäuser waren sehr hilfsbereit und kooperativ“, sagt Lenz-Holdinghausen. Unter den Verlegten war ein Patient mit Corona, der aber nicht intensivmedizinisch behandelt werden musste.
Für Aufregung hat ein Anruf vom Gesundheitsamt gesorgt: Einer der prästationären Corona-Tests, die in der Klinik regelmäßig vorgenommen werden, war positiv. Das Krankenhaus, in dem der Patient inzwischen lag, musste entsprechend informiert werden. „Das Zusammenspiel mit dem Gesundheitsamt und der anderen Klinik hat gut funktioniert“, berichtet sie.
Wegen Personalmangels standen an anderen Kliniken ganze Stationen leer
Bei der Suche nach freien Plätzen hat geholfen, dass in manchen Kliniken wegen des Personalmangels ganze Stationen frei waren. „Dort konnten wir dann nicht nur Patienten, sondern auch Pflegepersonal und Ärzte hinschicken.“ 150 der fast 2500 Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter inklusive ärztliches und pflegerisches Personal waren in umliegenden Häusern aktiv.
Schon unter normalen Bedingungen ist eine Evakuierung ein kompliziertes Unterfangen – erst recht, wenn die digitale und elektronische Unterstützung fehlt, die sonst selbstverständlich ist. Alles musste in Papierform erledigt werden, inklusive der Arztbriefe. „Das hat viel Zeit in Anspruch genommen.“
Unter den Patientinnen und Patienten sei es zu keinem Zeitpunkt zu Unruhe oder Panik gekommen. Das lag wohl auch daran, dass Ärzte und Pflegepersonal immer über den Stand der Dinge auf dem Laufenden gehalten wurden und ihrerseits die Patienten informieren und beruhigen konnten. Auch die Angehörigen wussten Bescheid.
Die Verantwortlichen sind regelmäßig durchs Haus gegangen und haben mit den Menschen gesprochen, geholfen hat auch die Einrichtung von vielen WhatsApp-Gruppen. „Jeder kam an die Informationen, die er brauchte.“
Lenz-Holdinghausen ist stolz auf die Klinik-Crew. „Unsere Mitarbeiter haben Großartiges geleistet.“ In der Nacht seien viele länger geblieben oder trotz der erschwerten Bedingungen etwa durch blockierte Zufahrtswege zurück in die Klinik gekommen. „Unabhängig von der Abteilung oder der Position hat die Zusammenarbeit toll geklappt.“
Langsamer Neustart nach sechs Tagen
Nach sechs Tagen konnte das Klinikum den Betrieb Schritt für Schritt wieder hochfahren, ein Teil der verlegten Patienten wurde zurückgeholt. Inzwischen stehen 511 von 740 Betten wieder für die Versorgung zur Verfügung. Normalität ist allerdings noch nicht wieder ganz eingekehrt. „Es gibt immer noch Stationen, die keinen Strom haben.“ Die Folge: „Wir sind etwas näher zusammengerückt.“
Zwei Gebäude sind so stark beschädigt, dass sie nicht saniert werden können. Davon betroffen sind die onkologische Tagesklinik und die Klinikapotheke. Nach einer vorläufigen Schätzung rechnet das Klinikum mit Schäden in Höhe von 40 Millionen Euro durch die Naturkatastrophe. Davon sind 15 bis 20 Millionen Euro durch Versicherungen gedeckt. Für den Rest hoffen die Verantwortlichen auf Unterstützung durch Land und Bund. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat sich bei einem Besuch des Krankenhauses ein Bild von den Zerstörungen gemacht und Unterstützung zugesagt.
Und dann noch eine verheerende Explosion in Leverkusen
Knapp zwei Wochen nach dem Hochwasser kam es in Leverkusen zu einem weiteren dramatischen Ereignis, einer schweren Explosion mit anschließendem Brand im Chempark. Mindestens fünf Menschen starben, 31 wurden verletzt.
Da war es gut, dass die Zentralambulanz bereits wieder aktiv war. Im Klinikum wurden ein Schwerverletzter und fünf Leichtverletzte stationär versorgt. Generell ist der Zulauf zur Zentralambulanz nach wie vor groß, sagt Lenz-Holdinghausen. Das gilt auch für den Kreißsaal, den einzigen in Leverkusen. „Als wir bekannt gegeben haben, dass wir das Haus wahrscheinlich wieder öffnen werden, haben sofort die ersten Frauen angerufen.“