Klinikprivatisierung - Neuland für die Briten
Manche nennen es Fortschritt, für andere ist es ein Kulturbruch: Im staatlichen Gesundheitssystem Großbritannien wird erstmals ein Krankenhaus komplett privatisiert.
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Richmond House in London, der Sitz des Gesundheitsministeriums: Hier wurden die Weichen für die Klinikprivatisierung gestellt.
© Lindenthaler / imago
LONDON. Erstmals seit Bestehen des National Health Service (NHS) wird in Großbritannien ein bisher staatliches Krankenhaus komplett privatisiert.
So soll die Klinik sowohl effizienter als auch patientenfreundlicher werden. Allerdings ist die Privatisierung umstritten.
Wie ein Sprecher des Londoner Gesundheitsministeriums auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" bestätigte, soll das Hinchingbrooke Hospital (Grafschaft Cambridgeshire) in diesem Jahr vom privaten Betreiber "Circle" übernommen werden.
Bislang wurde die Klinik, die 1700 Ärzte, Krankenpfleger und anderes Personal beschäftigt, vom staatlichen Gesundheitsdienst NHS geführt. Patientenmangel sorgte dafür, dass das Krankenhaus seit Jahren Verluste schreibt.
Jetzt haben Gesundheitspolitiker die Notbremse gezogen. "Wir sind optimistisch, dass ein privater Betreiber die Klinik wieder zurück in die Gewinnzone führen kann", so ein Sprecher der lokalen Gesundheitsverwaltung von Cambridgeshire.
Und: "Circle hat einen überzeugenden Sanierungsplan vorgelegt." Der Privatbetreiber beabsichtigt, das Versorgungsangebot zu verbessern und neue diagnostische und therapeutische Angebote zu offerieren, hieß es.
Salamitaktik bei der Privatisierung?
Außerdem sollen die Krankenzimmer und Operationssäle bauchtechnisch verbessert werden. Dafür wurde der Londoner Star-Architekt Lord Norman Foster engagiert.
Die Patientenverpflegung soll ebenfalls verbessert werden, indem ein Michelin-Caterer an Bord geholt wird.
Im Hinchingbrooke Hospital sind zuletzt die Patienten ausgeblieben. Lokale Hausärzte haben ihre Patienten zu selten überwiesen, da sie nicht von der Qualität der Leistungen überzeugt waren.
Die neue Klinikleitung hofft, durch ein verbessertes Versorgungsangebot wieder mehr Patienten anzuziehen.
Es ist das erste Mal in der fast 64-jährigen Geschichte des staatlichen NHS, dass ein staatliches Krankenhaus komplett von einem privaten Betreiber übernommen wird.
Gesundheitspolitische Beobachter erwarten, dass die Privatisierung Modellcharakter haben könnte, sollte sie erfolgreich sein.
Ärztliche Berufsorganisationen sehen die Gesundheitspolitik der Regierung Cameron generell kritisch.
Eine Sprecherin des größten britischen Ärzteverbandes (British Medical Association, BMA) warnte in London vor einer "scheibchenweisen Privatisierung unseres Gesundheitsdienstes".