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Koalitionsvertrag steht und erntet erstaunlich viel Lob

Ärzteverbände sowie Vertreter von Kliniken und Krankenkassen – alle finden viele gute gesundheitspolitische Ansätze im Koalitionsvertrag. Harsche Kritik kommt vom NAV-Virchowbund, aber auch von der Pharmaindustrie.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Alles weitere liegt in ihren Händen und denen der SPD-Mitglieder. Die drei Parteichefs am Mittwoch in Berlin.

Alles weitere liegt in ihren Händen und denen der SPD-Mitglieder. Die drei Parteichefs am Mittwoch in Berlin.

© Nietfeld/dpa

BERLIN. Die Ärztevergütung müsse reformiert werden, sowohl die gesetzliche als auch die private. Darin sind sich die Unterhändler von CDU, SPD und CSU einig. „Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet“, heißt es im Koalitionsvertrag, der seit dem späten Mittwochvormittag nach gut eineinhalb wöchentlichen Verhandlungen in trockenen Tüchern ist.

Ein einheitliches Vergütungssystem ist damit vorerst verschoben: Zunächst soll eine wissenschaftliche Kommission bis Ende 2019 die medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen von Reformen oder eines Systemwechsels ausloten. Erst danach wollen die Koalitionäre in spe entscheiden, ob Vorschläge dieser Kommission angefasst werden sollen.

Erstaunlich positiv – abgesehen von Ausnahmen – fallen die Reaktionen auf den Koalitionsvertrag auf Seiten von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen aus. Weniger erfreut zeigt sich die Pharmaindustrie.

"Der Koalitionsvertrag setzt beim Thema Gesundheit an vielen Stellen durchaus richtige Akzente", sagt zum Beispiel der Präsident der Bundesärztekammer Professor Frank Ulrich Montgomery. Die sieht er unter anderem bei den vorgesehenen Maßnahmen gegen den Ärztemangel. Mit den Neuregelungen bei der Notfallversorgung und der Reform des Medizinstudiums seien zudem wichtige Zukunftsthemen angesprochen. Die Reform der ärztlichen Vergütung erst einmal von einer wissenschaftlichen Kommission unter die Lupe nehmen zu lassen, hält der BÄK-Präsident für eine weise Entscheidung. Eine Lösung unter Zeitdruck dürfe es hier nicht geben.

Umstrittene Mindestsprechstunde

"Es ist ein richtiges und wichtiges Signal, dass eine mögliche Große Koalition die hausärztliche Versorgung und die sprechende Medizin besser vergüten will", urteilt der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Positiv sei auch, dass die Koalitionäre die Weiterbildung Allgemeinmedizin fördern wollen. Die geplante Erhöhung des Mindestsprechstundenangebots auf 25 Stunden hingegen findet er schlecht. Sie sei ein unnötiges bürokratisches Regularium und ein negatives Signal für den hausärztlichen Nachwuchs.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ein Kompromiss auf wackeligen Beinen

Die KBV-Spitze bot in einer ersten Stellungnahme einer neuen Bundesregierung an, "die künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen konstruktiv zu begleiten", so der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen.

Sehr kritische Töne kommen vom NAV-Virchowbund. Deren Vorsitzender Dr. Dirk Heinrich bezeichnete den Koalitionsvertrag als "Totenschein für die Selbstverwaltung und die ärztliche Freiberuflichkeit". So werde eine Erhöhung der Mindestsprechstundenzeit um 25 Prozent vereinbart, ohne eine Aussage zur Gegenfinanzierung zu machen. Das sei innerhalb eines budgetierten Systems ein interessantes Vorhaben. Denn eine solche Erhöhung der ärztlichen Arbeitszeit ziehe Folgekosten nach sich, wie etwa die Arbeitszeitverlängerung der Medizinischen Fachangestellten, moniert Heinrich. Hier werde deutlich: Die ärztliche Freiberuflichkeit und die ärztliche Selbstständigkeit solle deutlich eingeschränkt werden.

Hoffnung für Klinikbeschäftigte

Viel Lob für die Vereinbarungen zur Personalsicherung in den Krankenhäusern gibt es von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Marburger Bund. "Grundsätzlich positiv ist die vorgesehene Ausfinanzierung der Tariflohnsteigerungen", so DKG-Präsident Gerald Gaß. Die vorgesehene Ausgliederung der Pflegepersonalkosten neben dem Fallpauschalensystem stelle eine grundlegende Neuausrichtung des 2003 eingeführten pauschalierenden, preisorientierten DRG-Systems dar.

Das damit verfolgte Ziel, den krankenhausindividuellen Personalbedarf in seiner Grundstruktur unabhängig von den Behandlungsfällen finanziell abzusichern, entspreche den Erwartungen der Beschäftigten und Patienten in den Kliniken, so der DKG-Präsident. Dies könne aber nur gelingen, wenn eine gute Personalausstattung nicht mit Rechtfertigungszwängen gegenüber den Krankenkassen verknüpft werde. "Ein Personalaufbau in den Kliniken muss in diesem System belohnt werden", fordert er. Der vorgesehenen Ausweitung der Personaluntergrenzen über die pflegeintensiven Bereiche hinaus auf alle bettenführenden Abteilungen werden sich die Krankenhäuser stellen", versicherte Gaß. Bedauerlich sei, dass die Parteien nicht den Mut gehabt hätten, bei der Investitionsfinanzierung eine Bundesbeteiligung miteinzubeziehen, kritisierte er.

Die Absicht, die Pflegepersonalkosten vom Fallpauschalensystem auszunehmen, begrüßt auch der Marburger Bund (MB). Das könne der Auftakt zu einer tatsächlich bedarfsorientierten und weniger rein erlösorientierten Personalermittlung der Krankenhäuser sein, hofft der 2. Vorsitzende des Marburger Bundes Dr. Andreas Botzlar in einer ersten Stellungnahme. Ein wirklicher Fortschritt sei die angekündigte vollständige Refinanzierung von Tariflohnsteigerungen im Krankenhausbereich und die damit verbundene Nachweispflicht für die Kliniken. "Ziel muss es ein, die Arbeitssituation aller Beschäftigten in den Krankenhäusern dauerhaft zu verbessern. Vor allem daran werden wir die Politiker der neuen Regierung messen", kündigte der MB-Vize an.

Durchaus zufrieden zeigt sich auch der GKV-Spitzenverband in einer ersten Stellungnahme. "Wir begrüßen es, dass die Koalition die Pflege stärken will", kommentiert die Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer den Koalitionsvertrag. Die Einsetzung einer Kommission, die sich mit einer Angleichung der Arzthonorare beschäftigen und deren Machbarkeit prüfen soll, findet Pfeiffer sinnvoll. Ansonsten sieht sie viele Ansatzpunkte im Vertrag, mit der die Versorgung der Menschen verbessert werden könne. AOK-Vorstandschef Martin Litsch hält die geplante Initiative zur stärkeren Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen den Sektoren für überfällig.

Industrie sieht Versäumnisse

Kritik kommt indes auch von der Pharmaindustrie: Im Koalitionsvertrag sei kein Wort zum Stellenwert innovativer Arzneimittel auf Basis bewährter und neuer Wirkstoffe zu finden, bemängelt der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Dr. Martin Zentgraf, das Verhandlungsergebnis von Union und SPD. Versäumt worden sei auch ein Bekenntnis zu standortorientierten mittelständischen Unternehmen, die an der Entwicklung dieser Arzneimittel arbeiteten. "Kein Wort zur Rolle der standortgebundenen Pharmaindustrie für die Sicherstellung der Versorgung der Patienten in Zeiten von Lieferengpässen", so Zentgraf.

Kaum konkrete Lösungsansätze, um die Arzneimittelversorgung auch in Zukunft zu sichern, sieht der Bundesverband der Arzneimittelhersteller. "Insbesondere altersgerechte Darreichungsformen werden in einer älter werdenden Bevölkerung immer wichtiger. Das Preismoratorium sowie das Festbetragssystem bremsen solche patientenrelevanten Weiterentwicklungen von Arzneimitteln aber aus", sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH), Dr. Hermann Kortland. Die gesetzliche Krankenversicherung verfüge über rekordverdächtige Rücklagen, da wirkten innovationsfeindliche Zwangsmaßnahmen anachronistisch, so Kortland.

Lesen Sie dazu auch: Koalitionsvereinbarungen: Arzthonorar bleibt Arbeitsthema – Fokus ist die Versorgung

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