Lockdown, Maskenpflicht, 2G/3G
Kommission zieht gemischte Bilanz der Anti-Corona-Maßnahmen
Epidemische Lage fragwürdig, Masken taugen, Lockdowns wirken nur kurz: Der Sachverständigenausschuss hat am Freitag seinen Evaluationsbericht zu den Schutzmaßnahmen vorgelegt. Doch das mit Spannung erwartete Gutachten leidet unter Datenmangel.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Wer erwartet hat, die Evaluation der Corona-Maßnahmen werde detaillierte Anleitungen für konkretes Regierungshandeln in der nächsten Pandemie liefern, wurde enttäuscht. Die Ergebnisse des „Sachverständigenausschusses nach Paragraf 5 Abs. 9 IfSG“ bleiben überschaubar und sind eher Arbeitsaufträge für weitere Forschung und Evaluation.
Eine klare Haltung vertritt das Gutachten in der rechtlichen Bewertung der Ereignisse des Frühjahrs 2020. Die „Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sei eine „juristisch fragwürdige Konstruktion“, urteilen die Gutachter. Die damit einhergehende Verlagerung wesentlicher Entscheidungsbefugnisse auf die Exekutive wird ganz überwiegend als verfassungswidrig eingeordnet.
Die epidemische Lage war Grundlage der Anordnungen von Corona-Maßnahmen und mehrerer Lockdowns 2020 und 2021.
Buschmann: Keine Lockdowns mehr!
Eingriffe wie Lockdowns, Ausgangssperren oder Schulschließungen seien für ihn „nicht mehr verhältnismäßig“, kommentierte Justizminister Marco Buschmann (FDP) die Arbeit der Sachverständigen am Freitagnachmittag. „Mit diesen Instrumenten wollen wir nicht mehr arbeiten.“ Die FDP sehe sich durch den Bericht bestätigt, dass es richtig war, die Corona-Politik „zurück in die Parlamente“ zu holen.
Impfungen dagegen seien sehr hilfreich, um Deutschland „winterfest“ zu machen. Deshalb wolle die Ampel eine neue Impfkampagne organisieren, die sich sowohl auf COVID-19 als auch auf die Influenza beziehe. Auf diese Weise werde das Gesundheitssystem gegen eine „mögliche Doppelbelastung“ abgesichert.
Zudem brauche es bessere Instrumente zur „Gefahrenprognose“, sagte Buschmann. Mit dem Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und vulnerabler Personengruppen vor COVID-19, der am Freitag im Kabinett verabschiedet worden sei, ziehe die Koalition hier „erste Konsequenzen“.
Infektionsgeschehen
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Lauterbach: „Bedeutsames Gutachten“
„Das ist kein Gutachten wie jedes andere, sondern ein bedeutsames Gutachten“, ordnete Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) die Arbeit der 19 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein. Sie böte eine „wichtige zusätzliche Perspektive“. Sie werde allerdings nicht die einzige Quelle seiner Arbeit sein.
Lauterbach berichtete, dass Justizminister Buschmann und er die Arbeiten am neuen Infektionsschutzgesetz bereits aufgenommen hätten. Diese würden Wochen dauern. „Was im Herbst gilt, wird jetzt entwickelt“, sagte Lauterbach.
„Wir stehen am Vorabend schwerer Herausforderungen und am Beginn der Sommerwelle“, so Lauterbach. Eine Impfkampagne werde vorbereitet. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens werde einen Schub erfahren.
An der Opt-out-Lösung für die elektronische Patientenakte werde gearbeitet, an einem Netzwerk der Gesundheitsämter, der Labore und der Krankenhäuser über das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem (DEMIS) ebenfalls.
Wissenschaftler: Datenlage total unbefriedigend
„Was wir heute sagen, muss in sechs Monaten nicht mehr genau so stimmen“, fasste die stellvertretende Vorsitzende des Gremiums Professorin Helga Rübsamen-Schaeff die Unsicherheit der Ergebnisse der Evaluation der Pandemiepolitik zusammen. Mehrere der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonten, dass die Datengrundlage hinten und vorne nicht ausgereicht habe, um fundierte Aussagen zu treffen.
„Es gebe keinen Körper an Evidenz“, sagte Wirtschaftswissenschaftler Professor Christoph Schmidt von der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forderung an die Politik: „Die Daten müssen in einer Art und Weise bereitgestellt werden, dass man sie gebrauchen kann.“ Und: Das Gutachten sei der „Neuanfang eines besser funktionierenden Diskurses“. Es sei noch nicht zu spät, um an einem übergreifenden Konzept für eine Public Health-Strategie zu arbeiten.
„Im Grunde sind die Daten zu den Corona-Maßnahmen wie zum Beispiel Lockdowns gebündelt. Sie lassen sich nicht mehr auseinanderrechnen“, brachte der Virologe Professor Hendrik Streeck das wissenschaftliche Dilemma auf den Punkt.
Fassbares Ergebnis: Masken wirken
„Masken wirken“, nannte Streeck gleichwohl ein fassbares Ergebnis. Ob es aber tatsächlich eine FFP2-Maske sein müsse, lasse sich nicht hart belegen.
Bei der Bewertung der Maßnahmen spielt zudem der Zeitverlauf offenbar eine große Rolle. 2G- und 3G-Zugangsbeschränkungen haben wohl positive Effekte, die sich aber nach einigen Wochen abschwächen. Eine Bewertung der Effekte liege allerdings nicht vor. Gleiches gilt für den Lockdown.
„Solange erst wenige Menschen infiziert sind, wirken die Lockdown-Maßnehmen“, sagte Streeck. Je länger der Stillstand des öffentlichen Lebens andauere, desto schwächer werde die Wirkung der Maßnahme.
Schulschließungen sollten in künftigen Fällen nur noch die letzte Maßnahme sein, betonte die Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums Professorin Jutta Allmendinger. Eingriffe in das Leben der Kinder müssten künftig mit einem Recht auf ein Mindestmaß an sozialen Kontakten verknüpft werden.
Fazit: Folgeforschung zwingend geboten
Immerhin scheinen damit die nächsten Forschungsgegenstände für die Zukunft klarer konturiert. Folgeaufträge seien zwingend für drei Felder notwendig, kündigte Streeck an. Das seien die Unterschiede in der Wirkung von medizinischen Masken und FFP2-Masken, die Kontaktnachverfolgung und die Schulschließungen. Bei den Masken komme es darauf an, wie sie getragen würden.Schulschließungen sollten in künftigen Fällen nur noch die letzte Maßnahme sein betonte die Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums Professorin Jutta Allmendinger. Eingriffe in das Leben der Kinder müssten künftig mit einem Recht auf ein Mindestmaß an sozialen Kontakten verknüpft werden.
Die Sachverständigen waren im Herbst 2021 mit der Aufgabe betraut worden, die Corona-Maßnahmen zu evaluieren. Alleine in der Zeit der Gutachtenerstellung sei das Infektionsschutzgesetz dreimal geändert worden, merkten die Wissenschaftler am Freitag an.
Justizminister Buschmann betonte, die Ampel wolle sich bei der nun anstehenden Novelle des IfSG von den „Geboten der Evidenz und Rechtsstaatlichkeit“ leiten lassen statt von Hektik und spontanen Eingebungen. Man werde rasch liefern.
GMK: Länder brauchen effektive Befugnisse
Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) rief den Bund am Freitag dazu auf, noch vor der Sommerpause ein modifiziertes IfSG auszuarbeiten. Den Ländern seien darin „effektive sowie rechtssicher handhabbare Befugnisse einzuräumen“, heißt es im Beschluss der GMK, der einstimmig gefasst wurde.
Für den Fall, dass sich die Belastung des Gesundheitssystems als „schwerwiegender“ herausstellen sollte, brauche es auch die Möglichkeit, „Zugangsbeschränkungen und Personenobergrenzen“ anzuordnen, sagte Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens. „Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine unmittelbare Überlastung unserer Intensivstationen drohen sollte, müssen im Rahmen eines Worst-Case-Szenarios auch Veranstaltungen ganz abgesagt werden können“, so die SPD-Politikerin.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärte, er habe Sorge, dass die Bundesregierung „nicht mehr vor der Sommerpause aktiv wird, sondern einfach stehen bleibt und sich dann im Herbst über die eigene Notlage wundert“. Jetzt nicht zu handeln, wäre aber „fatal“, so der CSU-Politiker. Länder, Kommunen, Arztpraxen, Krankenhäuser und Alten- und Pflegeheime bräuchten eine gewisse Vorbereitungszeit.
„Chaostage“, wie Deutschland sie mit der „überhastet erstellten Testverordnung“ erlebe, dürfte es nicht noch einmal geben, sagte Holetschek. (af/hom)