Reaktionen

Krankenkassenchefs zum Koalitionsvertrag: Finanzprobleme werden vertagt statt angepackt

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD fehlten ausgabenbegrenzende Eingriffe vollständig, moniert BARMER-Chef Straub. Bei der Kompensation versicherungsfremder Leistungen bleibe es bei bloßen Ankündigungen.

Veröffentlicht: | aktualisiert:
Christoph Straub

„Es fehlen Lösungen“: BARMER-Vorstandschef Professor Christoph Straub.

© Johannes Simon/SZ Photo/picture alliance

Berlin. Nachdem Union und SPD am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag vorgestellt haben, wächst in Kassenkreisen die Sorge, dass die neue Regierung die Sanierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wie auch der Pflegeversicherung verpatzt.

„Die Koalition hat offenbar erkannt, dass auch bei den Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung dringender Handlungsbedarf besteht“, sagte der Chef der zweitgrößten deutschen Krankenkasse BARMER, Professor Christoph Straub, am Donnerstag.

Allerdings werde die Lösung des Problems „auf die lange Bank geschoben“. Im Koalitionsvertrag fehlten ausgabenbegrenzende Eingriffe „vollständig“, kritisierte Straub. Zudem seien weder eine Anpassung des Bundeszuschusses an die GKV noch weitere Entlastungen durch steuerfinanzierte versicherungsfremde Leistungen vorgesehen.

„Auf die lange Bank geschoben“

Dazu gehörten etwa die Übernahme der Krankenversicherungskosten der rund 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger und die Rückzahlung coronabedingter Aufwendungen in der Pflegeversicherung. Der erste Posten wird auf knapp zehn Milliarden, der zweite auf etwa 5,5 Milliarden Euro beziffert. Im Papier der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege waren entsprechende Kompensationen aus Steuermitteln noch enthalten.

Lesen sie auch

„In einer Größenordnung von rund 15 Milliarden Euro könnte die neue Bundesregierung so ad hoc einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Beitragssätze in der GKV und Pflegeversicherung leisten“, kommentierte Straub.

Stattdessen solle eine Kommission eingesetzt werden, deren Ergebnisse erst im Frühjahr 2027 vorgelegt würden. Das sei zu spät – der Druck in der GKV sei jetzt schon „enorm groß“, so Straub. Die Beitragssatzspirale drohe sich weiterzudrehen.

IKK-Chef Hohnl: Paradigmenwechsel bleibt aus

Der „erhoffte Paradigmenwechsel“ bei den Sozialversicherungen bleibe aus, meldete sich auch der Geschäftsführer der IKK e.V., Jürgen Hohnl, zu Wort. „Waren noch im Ergebnispapier der AG 6 zielführende Maßnahmen zur Stabilisierung der Beitragssätze vorgesehen, ist davon im Koalitionsvertrag nahezu nichts mehr zu lesen.“ Einzige Ausnahme bilde die Übernahme des ursprünglich für die GKV vorgesehenen Anteils für den Krankenhaustransformationsfonds durch den Bund.

Lesen sie auch

Zur Frage der Stabilisierung der Beitragssätze werde nun auf eine Kommission verwiesen, die unter Beteiligung von Experten und Sozialpartnern „Ableitungen treffen und konkrete weitere Maßnahmen vorschlagen soll“, sagte Hohnl.

Dass anschließend mehr Steuermittel Richtung AOK, TK & Co. fließen, ist ebenso ungewiss. So findet sich auf Seite 51 im Koalitionsvertrag der Hinweis, dass alle darin aufgeführten Maßnahmen „unter Finanzierungsvorbehalt“ stehen.

BKK-Chef Franz Knieps nannte es „geradezu fahrlässig“ von den Koalitionären, auf ein anhaltend höheres Beschäftigungsniveau und damit auf sprudelnde Einnahmen für die GKV zu vertrauen. „Die Annahme, dass ein höheres Beschäftigungsniveau die Einnahmen ausreichend steigern und gleichzeitig die Kosten senken könnte, geht nicht auf. Trotz Rekordbeschäftigung frisst die Ausgabendynamik jeden Einnahmenzuwachs auf.“

Städtetag: Finanzlücke bei Kliniken schließen

Städte und Kommunen, die in der Gesundheits- und Pflegeversorgung eine wichtige Rolle spielen, warnten ebenfalls, ein noch größeres Minus würden die kommunalen Haushalte nicht verkraften. „Die rund 25 Milliarden Euro kommunales Defizit im vergangenen Jahr rauben uns fast jeden Handlungsspielraum“, sagte der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, der auch Oberbürgermeister der Stadt Münster ist.

Dass die Ende 2024 beschlossene Krankenhausreform fortgesetzt und „nur“ an entscheidenden Punkten „nachjustiert“ und die Finanzlücke der Kliniken für die Jahre 2022 und 2023 geschlossen werden solle, sei ein wichtiges Signal an die kommunalen Träger. „Aber das Geld muss jetzt schnell bei den Kliniken ankommen. Die Zeit drängt“, betonte Lewe.

Mit Blick auf die Lage der Gesundheitsämter stellte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Dr. Peter Schäfer, fest, dass der in der Corona-Krise geschlossene Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst ein „starkes Signal“ gewesen sei. „Bundesweit sind rund 4.800 Stellen geschaffen worden – viele davon unbefristet. Dies darf kein Strohfeuer bleiben“, mahnte Schäfer. (hom)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Salesforce hilft Kliniken, die Versorgungsqualität zu verbessern

© Salesforce Germany GmbH

Value Based Healthcare

Salesforce hilft Kliniken, die Versorgungsqualität zu verbessern

Kooperation | In Kooperation mit: Salesforce Germany GmbH
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Eine Sanduhr, durch die Geldstücke fall

© fotomek / stock.adobe.com

Tag der Privatmedizin 2024

Outsourcing: Mehr Zeit für Patienten!

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Buch mit sieben Siegeln oder edles Werk? KI-Idee einer in Leder eingebundenen neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

© KI-generiert mit ChatGPT 4o

Exklusiv Entwurf unter der Lupe

Das brächte Ihnen die neue GOÄ

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
In der Klinik Königshof in Krefeld werden Menschen mit psychischen Erkrankungen behandelt. Die digitale Terminvergabe über Doctolib senkt eine Hemmschwelle: Es fällt leichter, mit wenigen Klicks einen Termin zu buchen, als im direkten Gespräch am Telefon.

© St. Augustinus Gruppe

Unternehmensstrategie für Krankenhäuser

Patientenportal stärkt die Reichweite der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung von Krankenhäusern

Patientenportale: Greifbarer Mehrwert für Klinik und Patienten

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Susanne Dubuisson, Product Leader in Health Tech beim E-Health-Unternehmen Doctolib.

© Calado - stock.adobe.com

Tools zur Mitarbeiterentlastung

Online-Termine gegen den Fachkräftemangel

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Wann können Ärzte das E-Rezept für Hilfsmittel nutzen, Herr Rupp?

Lesetipps
Ein Arzt schaut sich CT-Bilder der Lunge an

© Markoff / Stock.adobe.com

Tagung der Pneumologen

Neue Leitlinie zu Lungenkrebs nimmt Screening in den Blick

Bild eines mRNA-Strangs

© Dr_Microbe / Getty Images / iStock

Impfung ab 60 Jahre

RSV-Prävention: STIKO empfiehlt nun auch den mRNA-Impfstoff

Wer auf Social Media Erfolg haben möchte, sollte sich möglichst originell präsentieren.

© Kamera: mit Emojis: oatawa / stock.adobe.com | Person: Julia Fischer

Tipps für den Social Media-Auftritt

So wird man erfolgreicher Medfluencer