Soziale Pflegeversicherung

Langzeitpflege: OECD-Bericht warnt vor Armutsrisiko trotz gesetzlicher Leistungen

Trotz zahlreicher Pflegeleistungen drohen Menschen mit hohem Pflegebedarf in die Armutsfalle zu laufen, geht aus einer neuen OECD-Studie hervor. Mit Blick auf die geplante Pflegereform der Ampel haben die Analysten mehrere „Optionen“ parat.

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Überlastung durch Pflege? Ein OECD-Bericht sieht vor allem schwerpflegebedürftige Menschen betroffen.

Überlastung durch Pflege? Ein OECD-Bericht sieht vor allem schwerpflegebedürftige Menschen betroffen.

© Tatjana Balzer / stock.adobe.com

Berlin. Trotz sozialer Pflegeversicherung geht Pflegebedürftigkeit im Alter mit einem Armutsrisiko einher. Laut einer neuen OECD-Studie liegt das Risiko, zu verarmen und womöglich auf „Stütze“ angewiesen zu sein, bei älteren Menschen mit Pflegebedarf in Deutschland um 20 Prozentpunkte höher als in der gesamten älteren Bevölkerung.

Besonders betroffen sind Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf: Während die Pflegeleistungen einen Teil der Kosten abdeckten, seien die Kosten, die Privatpersonen aus eigener Tasche berappen müssten, für Menschen mit hohem Pflegebedarf „nach wie vor erheblich“, heißt es in dem Bericht: In Deutschland machen sie demnach knapp 40 Prozent des mittleren Einkommens älterer Menschen aus.

„Dieser erhebliche finanzielle Druck auf die Individuen und die Pflegeversicherung wird aufgrund des demografischen Wandels weiter zunehmen“, sagt die Mitautorin der Studie und Analystin für Gesundheitspolitik bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Karolin Killmeier. So werde die Zahl pflegebedürftiger Menschen in den OECD-Ländern bis zum Jahr 2050 um 30 Prozent steigen.

„Erheblicher Druck“ auf Pflegebedürftige und System

Laut dem der Ärzte Zeitung vorab vorliegenden Bericht des OECD-Direktorats für Beschäftigung, Arbeit und Soziales steigt die Nachfrage nach Pflege in allen OECD-Staaten. Als Gründe nennt die Organisation die Demografie und die Tatsache, dass sich „Haushaltsstrukturen“ änderten.

Länder, die besonders auf informell Pflegende – Ehepartner, Kinder, Freunde – angewiesen seien, stünden vor Nachhaltigkeitsproblemen: Informelle Pflege werde schwieriger, da ältere Menschen länger leben und sich ihre chronischen Krankheiten verschärften, die Haushalte im Schnitt kleiner würden, Verwandte weiter entfernt lebten und die Erwerbstätigkeit von Frauen wachse.

In Deutschland beziehen derzeit rund 5,2 Millionen Menschen Leistungen aus dem Topf der gesetzlichen Pflegeversicherung. Für diesen wurden zuletzt Mittel in Höhe von 66 Milliarden Euro von den Beitragszahlern pro Jahr aufgewendet. Über die private Pflegeversicherung sind rund 340.000 Menschen versichert. Die Pflegeversicherung wurde 1995 als Teilkaskoversicherung eingeführt.

Geringverdiener und Singles mit hohem Pflegerisiko

Etwa vier von fünf Pflegebedürftigen werden von Angehörigen oder Freunden gepflegt – rund 750.000 pflegebedürftige Menschen stationär. Hier sorgen vor allem die Eigenanteile für Nöte. Laut Ersatzkassen liegen die Eigenanteile für Pflege, Unterkunft, Verpflegung und Investitionen aktuell bei im Schnitt 2900 Euro je Bewohner und Monat – in Teilen Süddeutschlands darüber.

In den OECD-Ländern hat knapp jeder vierte ältere Mensch Bedarf an Langzeitpflege. Generell sind Frauen im Alter in einem schlechteren Gesundheitszustand. Bei ihnen liegt der Pflegebedarf laut Studie bei 27 Prozent – bei Männern bei 20 Prozent. Geringverdiener, Menschen in Single-Haushalten und höhere Altersgruppen tragen ebenfalls ein höheres Pflegerisiko.

Über eine finanzielle Unterstützung zumindest bei formeller Pflege verfügen der neuen Studie zufolge in der Regel alle OECD-Länder. Die Spanne reicht von gut drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den Niederlanden und den nordischen Ländern bis zu 0,5 Prozent und weniger in Griechenland, Polen und Lettland.

Kombination aus Beitrags- und Steuermitteln

Laut Killmeier macht die Studie auch deutlich: „Die Gewährleistung bezahlbarer Langzeitpflege bleibt in vielen Ländern eine Herausforderung.“ Um das Leistungsniveau und die Zahl der Leistungsbezieher aufrechtzuerhalten, müsse Deutschland seine jährlichen Pflegeausgaben bis 2050 um zwei Prozent erhöhen.

Daher sei es wichtig, so Killmeier, die Beiträge zum Vorsorgefonds und den Bundeszuschuss zur sozialen Pflegeversicherung beizubehalten. Der eine Milliarde Euro schwere Zuschuss aus Steuermitteln ist von der Ampel bis einschließlich 2027 „eingefroren“, die an den Fonds abgeführten Beitragsmittel im Gegenzug reduziert worden. Letzterer ist für die Zeit angelegt, wenn die Babyboomer das pflegebedürftige Alter erreichen.

Zudem sei über Schritte nachzudenken, die andere Länder bereits gegangen seien, mahnt Killmeier. Dazu gehöre eine Kombination aus Versichertenbeiträgen und steuerbasierten Investitionen von Bund und Ländern. Kommunen wiederum seien zu „Caring Communities“ weiterzuentwickeln, Assistenztechniken im Pflegealltag stärker einzusetzen und die Prävention auszubauen.

VdK: Pflege wird immer mehr zum privaten Risiko

Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, erklärte auf Anfrage der Ärzte Zeitung, Pflege werde immer mehr zum privaten Risiko, weil der Staat sich vielfach zurückziehe und die Pflegebedürftigen auf den Kosten sitzen blieben. Pflege sei aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Deswegen muss die Pflegeversicherung finanziell entsprechend aufgestellt werden.“

Privatversicherte müssten in die soziale Pflegeversicherung einbezogen werden. Außerdem müssten Bund und Länder ihren Verpflichtungen nachkommen: Derzeit würden im Schnitt allein knapp 500 Euro an Investitionskosten auf die Pflegebedürftigen abgewälzt. Steigende Kosten seien auch in der ambulanten Pflege spürbar. „Sie bleiben jedoch unsichtbar, da die Pflegebedürftigen hierdurch gezwungen werden, weniger Leistungen durch die Pflegedienste in Anspruch zu nehmen.“ (hom)

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