Richter stoppen AOK

Leben wiegt höher

Im Streit um häusliche Krankenpflege für ein behindertes Kind hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg die Maßstäbe zurecht gerückt und den Eltern Recht gegeben.

Veröffentlicht:

STUTTGART. Streiten sich Krankenkassen und Eltern schwerstbehinderter Kinder über den Umfang der zu übernehmenden häuslichen Krankenpflege, muss das Leben des Kindes höher als der mögliche Vermögensschaden der Kasse gewichtet werden.

Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem Eilbeschluss klargestellt.

Damit bewilligte es Eltern einer schwerstbehinderten Tochter bis zum Abschluss des Hauptverfahrens eine umfangreichere häusliche Krankenpflege. Das zweijährige Kind ist mehrfach geistig und körperlich behindert und musste wenige Tage nach der Geburt vier Monate lang dauerhaft künstlich beatmet werden.

Auch danach war insbesondere nachts und bis zu vier Stunden täglich eine Beatmung über eine operative Öffnung der Luftröhre am Hals erforderlich.

Kasse beschnitt Pflege-Zeit

Die AOK hatte eine häusliche Krankenpflege zunächst für 16 Stunden und dann für 13 Stunden täglich bewilligt. Pflegedienste übernahmen bis zu drei Tagesdienste und vier Nachtwachen pro Woche. Die restliche Zeit kümmerten sich die Eltern um das Kind.

Nachdem bei dem Mädchen die Luftröhrenöffnung am Hals im Herbst 2014 operativ wieder geschlossen wurde, bewilligte die AOK nur noch täglich drei Stunden häusliche Krankenpflege. Die Kasse berief sich auf einen Gutachter, der eine durchgehende Überwachung des Kindes nicht mehr für erforderlich hielt.

Das Kind könne regelmäßig atmen und selbstständig auftretende Sekrete wieder abhusten. Die Eltern wollten die Kürzung der häuslichen Krankenpflege nicht hinnehmen. Sie könnten ihre Tochter weiter nicht aus den Augen lassen. Sie drehe sich nachts häufig auf den Rücken und erbreche. Es bestehe Erstickungsgefahr.

Im Eilverfahren gab das LSG nun den Eltern vorläufig recht. Danach darf die AOK zumindest bis zum Abschluss des Hauptverfahrens die häusliche Krankenpflege nicht kürzen. Um den Umfang der häuslichen Krankenpflege bestimmen zu können, müsse der Hausarzt befragt und gegebenenfalls ein Gutachten eingeholt werden.

Dies könne aber nur während des Hauptverfahrens und nicht auf die Schnelle erfolgen.Bis dahin habe das Interesse des Kindes Vorrang, da - sollte sich die Einschätzung der Krankenkasse als falsch erweisen - dessen Leben bedroht sei. Das Vermögensinteresse der Krankenkasse müsse demgegenüber zurückstehen. (fl/mwo)

Az: L 5 KR 605/15

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Pflegereport der BARMER

Deutschland hängt in der Pflegespirale fest

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Diagnose-Prävalenzen

Wo Autoimmunerkrankungen besonders häufig auftreten

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie

Lesetipps
Das deutsche Gesundheitswesen im Vergleich mit EU-Ländern – die Bilanz fällt gemischt aus.

© Denys Rudyi / stock.adobe.com

OECD-Vergleich

Deutschland ist bei Lebenserwartung erstmals unter EU-Schnitt

Physician Assistants und NÄPAs können Hausärzte stark entlasten.

© amedeoemaja / stock.adobe.com

NÄPAS und Physician Assistants

Drei Ärzte, 10.000 Patienten: Delegation macht es möglich

CAs9-Protein spaltet einen DNA-Doppelstrang.

© Design Cells / Getty Images / iStock

CRISPR-Cas9-Studie

ATTR-Amyloidose: Einmal spritzen – und gesund?