Streit um Werbebeschränkungen

Medizinbündnis DANK wirft Ernährungsindustrie „Falschaussagen“ vor

Helfen Werbebeschränkungen für süße Lebensmittel im Kampf gegen Übergewicht bei Kindern? Fachgesellschaften und Industrie liefern sich darüber seit Monaten einen erbitterten Streit. Was genau entzweit die Gemüter?

Veröffentlicht:
TV-Werbung für Süßigkeiten beschränken? Kinder- und Jugendärzte sind dafür, die Industrie läuft Sturm gegen entsprechende Pläne des Bundesernährungsministers.

TV-Werbung für Süßigkeiten beschränken? Kinder- und Jugendärzte sind dafür, die Industrie läuft Sturm gegen entsprechende Pläne des Bundesernährungsministers.

© Myst / stock.adobe.com

Berlin. Der Schlagabtausch über Sinn und Unsinn von Werbeeinschränkungen für ungesunde Kinderlebensmittel hält an. Das Medizin- und Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) warf der Lebensmittel- und Werbewirtschaft am Montag vor, mit „Falschaussagen“ gegen Gesetzespläne von Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) Stellung zu beziehen.

„In der wissenschaftlichen Literatur und unter Fachorganisationen herrscht einhelliger Konsens, dass Beschränkungen der Lebensmittelwerbung ein wichtiges Handlungsfeld zur Förderung gesunder Ernährung sind“, sagte DANK-Sprecherin Barbara Bitzer.

Dass die Werbe- und Lebensmittelbranche „so vehement“ gegen das Vorhaben mobilisiere, zeige vor allem eines: „Die geplanten Regelungen könnten eine große Wirkung entfalten“, sagte Bitzer, die auch Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist.

Lesen sie auch

DANK-Sprecherin Bitzer: „Wichtiges Handlungsfeld“

Außer der DDG gehören dem Medizinbündnis DANK mehr als 20 weitere Fachgesellschaften und Verbände an, darunter die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG), der Hausärztinnen- und Hausärzteverband und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Der von Özdemir vorgelegte Gesetzentwurf, der derzeit in der Ampel-Koalition abgestimmt wird, sieht vor, die Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 richtet, in allen für Kinder wichtigen Medien sowie als Außenwerbung gesetzlich zu regulieren. Werbung und Spots für süße oder sehr salzige Snacks sollen beispielsweise nicht mehr an Tageszeiten zu sehen sein, an denen viele Kinder Medien besonders nutzen.

Laut Entwurf für ein Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) wäre dies wochentags in der Zeit von 17 bis 22 Uhr sowie an Samstagen von 8 bis 11 Uhr und an Sonntagen in der Zeit von 8 bis 22 Uhr. Die Einschränkungen sollen für das Fernsehen, das Radio und im Internet. Messlatte bei der Frage, welche Produkte den Werbeeinschränkungen unterliegen, sollen Nährwertprofile der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein.

Lesen sie auch

Branchenverbände schreiben Brief an Özdemir

Mehr als 30 Branchenverbände hatten kürzlich in einem Brief an Özdemir ihre ablehnende Haltung gegen den Referentenentwurf des KLWG erneuert. Zeitgleich hatten sie Anzeigen in mehreren Tageszeitungen platziert, auf denen das Gesetzesvorhaben kritisiert wird. In ihrem Schreiben argumentiert die Industrie, durch Anlehnung an das WHO-Nährwertprofil erfasse der Gesetzentwurf rund 70 Prozent aller Lebensmittel.

Der Entwurf sei „wirtschafts- und innovationsfeindlich“. Behauptungen zu „angeblichen negativen Wirkungen von Werbung auf das Ernährungsverhalten und die Übergewichtsprävalenz von Kindern“ seien ebenfalls „nicht tragfähig“.

DANK-Vertreter erklärten, derartige Argumente hielten einem „Faktencheck“ nicht stand. „Anders als die Branchenverbände es darstellen, gibt es umfassende Evidenz, um die Einführung von Werbebeschränkungen zu begründen“, sagte der politische Geschäftsführer der DAG, Oliver Huizinga.

Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Burkhard Rodeck, erklärte, es gehe nicht an, dass aus rein wirtschaftlichen Interessen „eine klare Verletzung der Kindsinteressen bewusst in Kauf genommen wird“.

Wie viele Produkte sind eigentlich betroffen?

In ihrem „Faktencheck“ verweist die DANK darauf, dass die vom Ernährungsministerium vorgeschlagenen Grenzwerte für Kalorien, Zucker, Fett oder Salz „erheblich vom WHO-Nährwertmodell“ abwichen.

Die Änderungen beträfen Säfte, Milch, Milchgetränke, Pflanzendrinks, Joghurts, Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte sowie Eier. Aktuell lasse sich nicht beziffern, welcher Anteil des Lebensmittelangebots tatsächlich betroffen sei. Eine „realistische Größenordnung“ liege bei 40 bis 50 Prozent.

Auch die These, wonach Werbeverbote unwirksam im Kampf gegen Übergewicht bei Kindern seien, entbehre der „Evidenzgrundlage“, schreibt die DANK. Der Einfluss von Werbung auf Vorlieben, Essensauswahl sowie Kauf- und Ernährungsverhalten von Kindern sei „in großen systematischen Übersichtsarbeiten untersucht und überzeugend dokumentiert“. WHO und UNICEF stuften die Evidenz für den Einfluss von Werbung ebenfalls als „eindeutig“ ein. (hom)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Abb. 1: Prozentualer Anteil der Patientinnen und Patienten pro Gruppe mit den genannten Symptomen zum Zeitpunkt der Visite 1 (Erstvorstellung) und Visite 2 (24–72h nach Erstvorstellung).

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [13]

Akute Otitis media – Behandlungsoptionen in der Praxis

Leitlinienbasierte Therapie für schnelle Symptomverbesserung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Homöopathisches Laboratorium Alexander Pflüger GmbH & Co. KG, Rheda-Wiedenbrück
Von der Grundlagenforschung zu wegweisenden Therapien

© Alnylam

Pionier der RNAi-Technologie

Von der Grundlagenforschung zu wegweisenden Therapien

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Alnylam Germany GmbH, München
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tag der Privatmedizin

GOÄneu: Reuther und Reinhardt demonstrieren Geschlossenheit

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!