Gastbeitrag

Mehr Beratung für mehr Organspenden!

Der Bundestag berät diesen Mittwoch zwei Initiativen zur Reform der Organspende in Deutschland. Jüngst kam von einem Experten Kritik an einem der Entwürfe: zu teuer. Das ist „unseriös“, kontert eine Parlamentarierin.

Von Kirsten Kappert-Gonther Veröffentlicht:
Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger fühlt sich über die Organspende nicht gut informiert. Kirsten Kappert-Gonther möchte das ändern und so zu mehr Organspenden kommen.

Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger fühlt sich über die Organspende nicht gut informiert. Kirsten Kappert-Gonther möchte das ändern und so zu mehr Organspenden kommen.

© Deutscher Bundestag / Thomas Trutschel

Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger fühlt sich über die Organspende nicht gut informiert. Für etwa ein Viertel der Menschen kommt ein Arzt oder eine Ärztin am ehesten für ein Gespräch über die Organspende infrage. Diesem Informationsdefizit und Beratungsbedarf muss ein Angebot entgegengestellt werden, das die Menschen zu einer informierten und selbstbestimmten Entscheidung befähigt und ermutigt.

Deswegen setze ich mich zusammen mit einer interfraktionellen Gruppe im Bundestag für eine Stärkung der Information, Beratung und Dokumentation zur Organspende ein. Das Vertrauen in und die Transparenz des Organspendesystems tragen wesentlich dazu bei, dass die dokumentierte Organspendebereitschaft gesteigert werden kann.

Ein Baustein in unserem Gesetzentwurf für eine freie Entscheidung ist die Vergütung hausärztlicher Beratung. Die Patientinnen und Patienten sollen die Möglichkeit bekommen bei Bedarf ihre Fragen im geschützten Gespräch stellen zu können.

Mit Irritation habe ich die Berichterstattung und die Kommentierung über die entstehenden Beratungskosten in der „Ärzte Zeitung“ gelesen. Der Skandal ist doch nicht, dass künftig eine ärztliche Beratung stattfinden soll, sondern dass diese Beratung bisher nicht in dieser Form möglich war. Der Vergütungsanspruch besteht als zeitgebundene Leistung je Patientin oder Patient maximal alle zwei Jahre.

Aufbau eine Online-Registers ist gerechtfertigt

Es ist unseriös auf Basis dieser Regelung zu kalkulieren, dass alle Versicherten alle zwei Jahre diese Leistung in Anspruch nehmen. Die meisten Menschen wollen lieber mit Familienangehörigen über Organspende sprechen, doch für diejenigen, die sich an ihren Arzt oder ihre Ärztin wenden wollen, muss es ein Angebot geben.

In diesen Fällen ist nicht damit zu rechnen, dass das Beratungsgespräch ständig wiederholt wird. Die Kosten werden sich im Rahmen halten.

Auch der Aufbau eines Onlineregisters für die Zustimmung oder den Widerspruch einer Organentnahme ist gerechtfertigt. Diese Kosten entstehen im Übrigen in beiden vorliegenden Gesetzentwürfen, bei dem, der die Einführung einer Widerspruchsregelung vorsieht, wie auch bei der freien Entscheidung.

Die Diskrepanz zwischen der überwiegend positiven Einstellung zur Organspende und der bisher geringen Dokumentation einer Entscheidung soll geschlossen werden. In den Krankenhäusern soll, schneller als bisher, ermittelt werden können, ob und welche Entscheidung registriert ist.

Um die Strukturen in den Krankenhäusern für die Organentnahme zu verbessern, wurde kürzlich im Bundestag mit dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO) die gesetzliche Grundlage beschlossen. Dazu zählt auch die Vergütung der Vorbereitungs- und Entnahmekosten sowie ein Ausgleich für die Inanspruchnahme der Klinikinfrastruktur im Rahmen der Organentnahme. Diese Neuregelungen werden ihre Wirkung erst noch entfalten.

Eine aktuelle britische Studie vergleicht die Transplantationsraten von insgesamt 35 europäischen und internationalen Ländern mit Widerspruchsregelung und Ländern mit einer Entscheidungslösung. Das Ergebnis ist, dass es keinen signifikanten Unterschied der postmortalen Spenderaten zwischen Opt-in- und Opt-out-Systemen gibt.

Daraus folgt, dass so ein tiefer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht wie eine Widerspruchsregelung nicht zu rechtfertigen ist. Es ist nicht hinzunehmen, dass Jens Spahn und Karl Lauterbach sogar Informationspflichten streichen und den bewährten Organspendeausweis abschaffen wollen.

Das Gesetz für eine freie Entscheidung wahrt stattdessen die Selbstbestimmung und stellt eine höhere Verbindlichkeit der informierten Entscheidung her. Verbesserte Information, Beratung und Dokumentation werden die Organspende in Deutschland stärken.

Dr. med. Kirsten Kappert-Gonther ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und sitzt seit 2017 für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Für ihre Fraktion ist sie Sprecherin für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung sowie Obfrau im Gesundheitsausschuss.

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Kommentare
Dr. Karlheinz Bayer 27.06.201911:36 Uhr

Verständnis: Ja. Umsetzbarkeit: Nein.


Verehrte Frau Dr.Kirsten Kappert-Gonther,

die Motivation für Ihr Anliegen ist ehrenhaft.
Auch die Analyse trifft zu, daß die Bevölkerung ein gewaltiges Informationsdefizit hat in der Frage der Organspende.
Der Weg, den Sie vorschlagen, man solle die Beratung in die Arztpraxen verlagern, und das auch noch mit einem Honorar zu Lasten der Solidargemeinschaft, dieser Ansatz ist allerdings falsch.

Wir haben bereits eine vergleichbare Ziffer im EBM, die 01740 mit 11,16 € vergütet, die allein dazu dieenen soll, Patienten zur Darmkrebs-Untersuchung, bzw. zur Rektoskopie zu bewegen.
Ich habe keine Ahnung, wie oft diese Ziffer angesetzt wird.
Allerdings habe ich festgestellt, daß sich die Gespräche, die ich selbst geführt habe, weit über den Bereich der Motiovation zur Vorsorge hinaus bewegt haben. In der Mehrheit der Fälle waren das Risikoaufklärungen, die eigentlich in den Bereich der Prämedikation gehören.
Das kann nicht sein!

Ich kann als Arzt unmöglich zur Organspende raten (oder davon abraten) im Rahmen einer kassenärztlichen Konsultation. Wie schwierig diese Gespräche sind, habe ich in mehreren Gesprächen zum Zweck einer Lebendorganspende erfahren. Man kann ein solches Gespräch entweder nur oberflächlich halten ("dann machen Sie mal, ist ja eine gute Sache") oder komplex ("haben Sie mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partnher geredet? Sehen Sie für sich persönlich religiöse oder medizinische Konflikte? etc.").

Hinzu kommen Probleme, die ich selbst und andere Ärztinnen und Ärzte haben mit Dingen wie der Hirntod-Debatte. In meinen Augen sind alle Organspenden Lebendspenden - soll ich das in einem Beratungsgespräch so weitergeben, oder mich zurückziehen hinter eine Position, die nicht meine ist?

Es geht nichts daran vorbei, daß das Thema immer noch nicht ausdiskutiert ist. Der Spagat zwischen potentiell spendebereit und faktisch noch keinen Spenderausweis besitzend ist immer noch da, und er nimmt eher zu "dank" der Spahn''schen Idee der "Zwangsorganentnahme".

Die Aufklärungsarbeit wird trotzdem sehr wohl gefördert durch die momentane Debatte. Auch deswegen respektiere ich Ihren Vorschlag, obwohl ich ihn nicht für zielführend halte.
Jetzt müßte die breite Diskussion nicht allein im Bundestag, sondern in der Bevölkerung losgehen.
Am Ende könnten allerdings ganz andere Ergebnisse stehen als die gerade vorgelegten drei Anträge im Bundestag.
Es könnte sein - und ich wünsche mir das - daß die Hirntod-Diagnose ad acta gelegt wird, weil sie unwahr ist, und es könnte sein, daß die Deutsche Gesellschaft für Organspende abgeschafft wird.

Für diesen Brief habe ich so viel Zeit gebraucht, wie ich vermutlich in jeder Einzelgespräch stecken würde - kann man das kostendeckend zu Lasten der Solidargemeinschaft verantworten?

Mit kollegialen Grüßen,
Ihr
Karlheinz Bayer

Dr. Steffi Bitter-Suermann 27.06.201910:13 Uhr

Verdrängung bedingt keine Entscheidung

Als transplantierte Kollegin bin ich entsetzt, immer und immer wieder die Gegenstimmen zur Widerspruchslösung zu hören und zu lesen.
Die Zustimmung in der Bevölkerung zur Organspende ist im direkten Gespräch sehr oft gegeben. Aber die meisten verdrängen und verschieben allein die Entscheidung, einen Organspendeausweis herunterzuladen und auszufüllen bzw. anzufordern, weil man Entscheidungen wie diese immer wieder verschiebt bis wirklich eine Situation eintritt, in der man sich aktiv damit befassen muss. Verdrängung ist einfach und der Mensch ist Perfektionist auf diesem Gebiet.
Was ist so falsch daran, eine solche Entscheidung aktiv durch "Konfrontation" mit der Frage "Willst Du Organspender sein?" z.B. bei Abholung des Personalausweises oder Führerscheins herbeizuführen? Nichts, wenn man mal ehrlich darüber nachdenkt. Es tut in einer solchen Situation nicht weh und jeder, der einen Ausweis beantragt oder die Führerscheinprüfung ablegt, weiß, dass er sich zu dieser Frage äußern muss.
Stattdessen nehmen wir als Gesellschaft in Kauf, dass gesunde Menschen, die sich z.B. aktiv für eine Nieren-Lebensspende entscheiden, weil die Wartezeiten für eine Nierentransplantation unerträglich lang sind, unnötig einem medizinischen Risiko aussetzen. Ist DAS etwa ethisch vertretbar?
Seriöse und sachliche Informationen zur Organspende zu finden, ist heutzutage kein Problem mehr. Ich bitte jeden darum, sich einmal ernsthaft in die Situation zu versetzen, dass ein naher Angehöriger oder Partner eine Organspende benötigt. Das sollte ganz schnell zu einer Entscheidung führen, ob man einer Organspende zustimmt oder sie ablehnt. Bei Betrachtung der Wartezeiten für ein Organ, ist die Zustimmung zur Widerspruchslösung dann konsequent.

Dr. Thomas Georg Schätzler 26.06.201917:27 Uhr

Kafkaeske Polit-Posse um verfassungskonforme Entscheidungs- vs. Widerspruchslösung

Den Medizin- und Transplantations-fernen Befürwortern der Widerspruchslösung ins Stammbuch: Die Verbesserung der Organspende-Bereitschaft erfordert primär gesellschaftspolitische Diskussions-, Meinungs- und Konsensbildung. Der intensivierte krankheits-politische Diskurs über die perimortale Organspende bzw. die erfolgreichen Maßnahmen und Wertevermittlungen in der gesamten Transplantationsmedizin stehen erst am Anfang.

Im letzten Jahr sind die Transplantations-Zahlen bereits um knapp 20% gegenüber 2017 angestiegen. Diese Konsolidierung wird gefährdet durch erneute Forderungen nach einer verfassungswidrigen Widerspruchslösung: Sie ist ein weiteres Problem, nicht die Lösung, die sie zu sein vorgibt.

Rücksichtslos werden damit informationelle Selbstbestimmungs- und weitere Persönlichkeits-Rechte ignoriert. Das gipfelt in der Einführung eines bundesweiten Zentralregisters, in dem Organspende-Befürworter und -Gegner amtlich erfasst und registriert werden sollen.

Es ist für Betroffene, Spender wie Empfänger, Angehörige, Mitarbeiter/-innen, Hirntod-Gutachter, Ex- und Implantationsteams schon schwer genug, mit den Problemen, Widersprüchen, Priorisierungen und perimortalen Situationen der Transplantationsmedizin klar zu kommen.

Das derzeitig unwürdige Wettrennen um den erfolgreichsten Gesetzentwurf zwischen Entscheidung und Widerspruch erinnert fatal an das Grimm’sche Märchen von „Hase und Igel“.

Mf+kG Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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