Krankenhäuser
Mehrheit der Pflegekräfte senkt bei Personaluntergrenzen den Daumen
Stress statt Entlastung, Hektik statt Sicherheit: Zwei Drittel der Pflegekräfte in Kliniken stufen die Personaluntergrenzen als kontraproduktiv ein. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe hervor.
Veröffentlicht:Berlin. Die Bundesregierung sieht in den Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG) einen Hebel, um Pflege und Patientensicherheit in Krankenhäusern zu stärken. Bei den Pflegekräften selber sorgen die Vorgaben dagegen überwiegend für Stress und Verärgerung.
Das geht aus einer am Samstag vorgelegten Online-Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) unter 1069 Pflegekräften mit mindestens dreijähriger Ausbildung hervor.
Knapp 900 Teilnehmer antworteten auf alle der insgesamt 19 Fragen zu den Auswirkungen der PpUG. Zwei Drittel der Pflegeprofis stufen die Effekte auf die eigene Arbeit als negativ ein. Etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) meint, auch für Patienten erweise sich das Instrument der PpUG als wenig hilfreich.
Vorgaben gelten seit Anfang 2019
Die Pflegepersonaluntergrenzen gelten seit 2019 für pflegeintensive Bereiche. Dazu zählen Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie. Dieses Jahr sind noch Herzchirurgie und Neurologie sowie Stroke-Units und neurologische Frührehabilitation hinzugekommen.
Die Untergrenzen werden als maximale Anzahl von Patienten pro Pflegekraft festgelegt. So ist etwa vorgesehen, dass für zehn Patienten auf geriatrischen Stationen am Tag mindestens eine Pflegekraft und in der Nacht eine Pflegekraft für 20 Patienten bereitstehen muss. Wer die Vorgaben reißt, muss mit Sanktionen rechnen.
Wegen der Coronavirus-Pandemie sind die Vorgaben seit März ausgesetzt. Die Umfrage fand vom 1. Oktober bis 30. November 2019 statt.
Mehr Bürokratie, häufige Personalrochaden
Etwas mehr als 40 Prozent der Befragten geben an, der Bürokratieaufwand habe wegen der PpUG zugenommen. Stehe auf Station ein durchdachtes EDV-Programm dafür zur Verfügung, liege der zusätzliche Aufwand bei nur wenigen Minuten am Tag. Wo ein solches EDV-System nicht verfügbar sei, koste die Umsetzung und Dokumentation der Personalvorgaben schon mal zwei Stunden und mehr am Tag.
Ebenfalls über 40 Prozent der Befragten bejahen, dass im Zuge der PpUG in „beträchtlichem Umfang“ Personal auf Stationen mit Personaluntergrenzen versetzt worden ist. Diese „Einsatzverschiebungen“ seien kurzfristig und nicht selten sogar nur für Teilschichten vorgenommen worden.
Überlastung und Burnout als häufige Folgen genannt
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Meinungsbild zur Frage, ob wegen der PpUG mit „patientenfernen“ Aufgaben betraute Fachkräfte wie Praxisanleiter, Gerätemanager oder Kodierer auf dem Stellenplan angerechnet wurden. Knapp 40 Prozent bejahen das.
Als „sonstige“ negative Folgen der PpUG werden am häufigsten „Unzufriedenheit“ der Mitarbeiter bis hin zu „mehr Überlastung“ und „mehr Burnout“ genannt. Andere Befragte beklagen den Abbau von Stellen, da vorgegebene Untergrenzen als Obergrenzen missverstanden würden.
Knapp elf Prozent der Befragten geben an, dass in ihrem Haus Stellen reduziert wurden. 24 Prozent berichten von einem Personalzuwachs – ein Effekt, auf den die Politik bei Einführung der PpUG gesetzt hat.
Beklagt werden zudem „häufige Konflikte“ in und zwischen Pflegeteams, aber auch mit Klinikärzten, die Zunahme von Fehlern sowie mehr Leiharbeit.
Versprochene Hoffnungen „verpuffen“
27 Prozent der Befragten bejahen, dass wegen der PpUG bereits Patienten auf andere Stationen verlegt worden sind. Der DBfK schreibt dazu, die in Freitexten mitgeteilten Angaben ließen vermuten, dass es „sehr häufig“ zu vorzeitigen und somit riskanten Verlegungen aus Intensivbereichen auf Stationen ohne PpUG und ohne die für die Versorgung von Intensivpatienten erforderliche Ausstattung komme.
Bei den beruflich Pflegenden hätten sich im „Jahr eins der PpUG“ offenbar Unzufriedenheit und Frustration verstärkt, kommentiert der Verband. Dabei habe man in die Untergrenzen die „große Hoffnung“ gesetzt, „dass nun endlich eine rote Linie gezogenen würde, die das Schlimmste verhindert und die Grundlage für einen schrittweisen Aufbau von mehr Pflegekapazität in den Krankenhäusern legt“. Die von der Politik versprochenen Verbesserungen verpufften, so DBfK-Präsidentin Professor Christel Bienstein.