Medizinische Hilfe für die Ukraine
Mit Tele-Robotern, Apps und Chatbots gegen Kriegstraumata
Um den psychologischen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine entgegenzuwirken, unterstützt das Projekt SOLOMIYA die Menschen vor Ort mit mentalen Trainings, Tele-Robotern und humanitärer Hilfe.
Veröffentlicht:Berlin. Anfang September 2024 erleben die Einwohner von Lwiw, Ukraine, einen der verheerendsten russischen Angriffe. „Das Geräusch von zerbrechendem Glas, das Heulen von Raketen und Shahed-Drohnen, heulende Autoalarmanlagen und die Schreie der Menschen draußen – all das gefolgt von den lang ersehnten Nachrichten von Angehörigen“, berichtet ein anonymer Nutzer auf Svidok.org, einer Plattform, auf der Ukrainer ihre Kriegserfahrungen teilen.
Der Nutzer schildert auch die emotionalen Auswirkungen dieser Nacht: „Ruhelosigkeit, Angst, ein Gefühl der Entfremdung von der Realität und ein innerer Kampf mit brodelnden Emotionen.“ Geschichten wie diese haben Svidoc.org seit dem Beginn der russischen Invasion überflutet.
Angesichts der zunehmenden psychischen Belastungen ergriff Professor Malek Bajbouj von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité und Leiter des SOLOMIYA-Projekts Maßnahmen, um Betroffenen zu helfen. In den ersten Wochen des Krieges nahm er Kontakt zu ukrainischen Psychiatern und Psychologen auf, um Möglichkeiten zu finden, sie zu unterstützen, sagt Dr. Valentyna Mazhbits, eine ukrainische Psychiaterin, die heute an der Charité arbeitet und für das SOLOMIYA -Projekt tätig ist.
„SOLOMIYA“ – Frieden und innere Ruhe
Der Name „SOLOMIYA“ hat eine doppelte Bedeutung. Als Akronym steht er für Stärkung langfristiger medizinischer und psychosozialer Infrastrukturen in der Ukraine durch ein Netzwerk von Krankenhauspartnerschaften. Darüber hinaus ist es ein traditioneller ukrainischer Name, der Frieden und innere Ruhe symbolisiert und damit die tiefere Mission des Projekts widerspiegelt, so Mazhbits.
Offiziell gestartet wurde das Projekt im Mai 2022 mit Unterstützung von 6,2 Millionen Euro vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Rahmen des Förderprogramms „Klinikpartnerschaften“. „SOLOMIYA“ brachte zwölf ukrainische und deutsche Fachkräfte zusammen, darunter Mazhbits.
Das Projekt begann mit der Lieferung von Medikamenten und humanitärer Hilfe an 27 psychiatrische Krankenhäuser in der Ukraine. Insgesamt wurden zwölf Lastwagen entsandt, deren Medikamente 79.000 Patienten zugutekamen. SOLOMIYA hat aber auf langfristige Ziele im Blick: mentale Gesundheitstrainings, die Förderung digitaler Lösungen und die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter in Deutschland.
Trainings und Workshops
Ein zentraler Schwerpunkt des SOLOMIYA-Projekts liegt auf dem Training von medizinischem Fachpersonal im Umgang mit den emotionalen Belastungen des Krieges. Mehr als 50 ukrainische Krankenhäuser, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind aktiv in die Programme eingebunden.
Workshops zur Prävention von Burnout haben bereits mehr als 370 Beschäftigten im Gesundheitswesen geholfen und kurzfristige Stresslinderung ermöglicht. Die regelmäßige Anwendung der in diesen Sitzungen vermittelten Übungen könne die langfristige Stressresistenz deutlich verbessern, so Mazhbits.
Weitere Schulungen zielen darauf ab, die Expertise ukrainischer Psychologen und Psychotherapeuten weiterzuentwickeln. Eines der Trainings, mit den SOLOMIYA-Partnern VIVO International und der Universität Konstanz entwickelt wurde, konzentriert sich auf die narrative Expositionstherapie (NET), eine Technik zur Behandlung von PTBS.
„Wir unterstützen ukrainische Ärzte während des gesamten Prozesses, von der Diagnose über die Behandlung bis zum Abschluss der psychotherapeutischen Betreuung“, sagt Professor Inga Schalinski, Psychotherapeutin bei VIVO. Bisher haben 56 ukrainische Ärzte an dem Training teilgenommen, gut 100 weitere stehen auf der Warteliste.
E-Learning-Plattform
Um seine Reichweite zu erweitern, hat SOLOMIYA zudem eine E-Learning-Plattform entwickelt, um ukrainische Ärzte in den Bereichen psychische Gesundheit, Rehabilitation und Schmerzmanagement fortzubilden. Die Plattform bietet spezielle Vorträge, die in Zusammenarbeit mit deutschen und ukrainischen Ärzten erstellt wurden, und enthält auch Ressourcen für Pflegekräfte.
Ursprünglich für ukrainische Gesundheitsdienstleister konzipiert, steht die Plattform nun vor einer internationalen Erweiterung. Geplant ist die Übersetzung der Inhalte in mehrere Sprachen. Darüber hinaus haben ukrainische Fachkräfte ein spezialisiertes Trainingsprogramm mit dem Titel „Psychische Gesundheit von gewaltsam Vertriebenen“ entwickelt, das sich an Fachleute richtet, die Expertise in kriegsbedingter medizinischer Versorgung suchen.
Digitalisierung wird gefördert
Ein weiterer Zweig des „SOLOMIYA“-Projekts konzentriert sich auf die Förderung der Digitalisierung in der Ukraine, einschließlich des Einsatzes sogenannter Tele-Roboter, Chatbots und speziellen Apps. „Mit dem Beginn des Krieges sahen sich viele ukrainische Ärzte damit konfrontiert, Patienten außerhalb ihrer üblichen Fachgebiete zu behandeln, und der Zugang zu Krankenhäusern wurde aufgrund des Krieges zunehmend eingeschränkt“, erklärt Dr. Mazhbits.
In diesen Herausforderungen zu begegnen, schickte die Charité zehn medizinische Teleroboter in die Ukraine. Diese haben eine doppelte Funktion: Sie ermöglichen es ukrainischen Ärzten, sich mit ihren deutschen Kollegen zu beraten – und sie helfen Ärzten, Patienten in ländlichen Gebieten zu erreichen. Seit ihrer Versendung wurden 103 Konsultationen mit deutschen Fachärzten über die Teleroboter durchgeführt.
Chatbot „Friend. First Aid“
SOLOMIYA hat außerdem digitale Tools entwickelt, um den psychologischen Auswirkungen des Krieges entgegenzuwirken. Der „Friend. First Aid“-Chatbot, der auf Telegram basiert, hilft Menschen, akuten Stress zu bewältigen. Nachdem der Nutzer Fragen zu seiner Stimmung beantwortet hat, empfiehlt der Bot Übungen, die auf Protokollen der WHO und den Golden Hours-Protokollen des European College of Neuropsychopharmacology basieren.
Wenn Nutzer sich weiterhin belastet fühlen, können sie an einen Psychotherapeuten oder Psychologen verwiesen werden, um zusätzliche Unterstützung zu erhalten. Dies bietet Menschen „innerhalb von Sekunden Zugang zu psychischer Hilfe“, erklärt Dr. Bajbouj.
Der Chatbot, der von Dr. Sofia Lahutina noch vor dem Krieg entwickelt wurde, war binnen 24 Stunden nach Kriegsbeginn schnell angepasst, um den dringenden Bedürfnissen von Menschen mit Kriegsstress gerecht zu werden. Später trat Lahutina dem „SOLOMIYA“-Projekt bei, und das Team entwickelte den Chatbot weiter.
Heute ist der „Friend. First Aid“-Bot in Englisch, Ukrainisch und Russisch verfügbar, mit Plänen für Übersetzungen ins Hebräische und Arabische. Er hat bereits mehr als 120.000 Nutzer. (oka)