"Mondschein-Operationen" sorgen in England für Ärger
Weil der Abbau der Wartelisten in der britischen Politik Vorrang hat, werden Schwerkranke erst abends operiert.
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Klinik in London: Wartelisten abzubauen hat Priorität, Operationen werden deshalb oft erst abends durchgeführt.
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LONDON (ast). Im staatlichen britischen Gesundheitswesen kommt es immer öfter vor, dass schwer kranke Patienten entweder gar nicht oder nur verspätet und qualitativ schlecht stationär versorgt werden. Ursache dafür ist laut Fachärzten die Gesundheitspolitik der Regierung Cameron, die der Reduzierung von Wartelisten "zu großen Wert" beimesse.
Das Starren der Gesundheitspolitiker auf die Wartelisten im staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) ist nicht neu. Spätestens seit Tony Blairs Wahlsieg 1997 gilt die Reduzierung der Wartelisten als oberstes Ziel.
Freilich: "Die zu starke Fokussierung auf Wartelisten führt leider dazu, dass schwer kranke Krankenhauspatienten nur unzureichend versorgt werden", so das angesehene Royal College of Surgeons (RCS) in einem offenen Brief an die Tageszeitung "Daily Telegraph".
"In vielen NHS-Krankenhäusern kommen die am schwersten erkrankten Patienten am schlechtesten weg, da Chirurgen oftmals nur am Ende des Tages Zeit haben, zu operieren." Das gefährde Patientenleben, so das RCS. Britische Medien nennen die spätabendlichen Operationen schwer kranker Patienten spöttisch "Mondschein-Operationen".
Im NHS werden jährlich laut Londoner Gesundheitsministerium rund 4,2 Millionen Operationen vorgenommen. Rund zwei Millionen dieser Eingriffe sind Notfalloperationen.Beobachter in Großbritannien zeigten sich überrascht, dass eine ansonsten eher zurückhaltende Facharztorganisation wie das RCS einen offenen Brief an eine große Tageszeitung schreibt.
"Das zeigt, wie besorgt die Chirurgen sind", sagte eine Sprecherin der Patientenorganisation "Patients Association" (PA) der "Ärzte Zeitung".
Der Chirurgen-Verband fordert ebenso wie andere fachärztliche Berufsverbände eine Neuordnung der gesundheitspolitischen Prioritäten. Anstatt sich "blind auf die Verkürzung der Wartelisten" zu konzentrieren, müsse den behandelnden Ärzten in den Kliniken "mehr Entscheidungsfreiraum" gegeben werden, welche Patienten wann operiert und behandelt würden.