EU-Gesundheitssysteme
Nichts geht ohne Mindeststandards
Die Gesundheitsversorgung ist in allen europäischen Ländern nationalstaatlich geregelt - und dies soll nicht angetastet werden, finden Experten. Gleichwohl gibt es eine große Herausforderung: die Sicherung von Standards.
Veröffentlicht:BONN. Der Erfahrungsaustausch innerhalb Europas kann dazu beitragen, die Versorgungskonzepte in den einzelnen Ländern zu verbessern.
Entscheidend ist dabei aber, die jeweilige regionale Situation im Blick zu haben. Das betonte Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, auf dem 1. Internationalen Hausärztetag in Bonn.
Für Hermann ist es richtig und wichtig, dass die Gestaltung des Gesundheitswesens in der Europäischen Union Sache der Mitgliedsstaaten und kein Brüsseler Thema ist. "Die Versorgungssteuerung und -gestaltung ist eine regionale Aufgabe."
Gleichzeitig gebe es übergeordnete Themen, die auf EU-Ebene angegangen werden sollten, wie etwa die schnellere und verbesserte Arzneimittel-Zulassung. "Die Probleme der entwickelten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften sind ähnlich."
Bei der Gestaltung des Hausarztvertrages in Baden-Württemberg hätten die Vertragspartner auch über die Grenzen geschaut, vor allem in die Schweiz, berichtete er. Dort seien insbesondere die regional organisierten Netzstrukturen von Interesse gewesen.
Hermann sieht eine große Verantwortung von Ländern wie Deutschland, wenn es darum geht, in der Europäischen Union einen Mindeststandard der Gesundheitsversorgung zu erhalten und dauerhaft sicherzustellen. "Sonst bekommen wir Unwuchten, die uns allen nicht genehm sein können", sagte er.
Die Frage, ob die gesundheitliche Versorgung der Menschen ausreichend ist, dürfe nicht davon abhängen, in welchem Land sie sich befinden.
Lange Wartelisten, Gehaltskürzungen, schlechtere Arbeitsbedingungen
In Portugal führe die verordnete Austeritätspolitik gerade zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungsqualität, sagte der portugiesische Allgemeinmediziner Dr. Tiago Villanueva Marques.
So gebe es lange Wartelisten für die Patienten und Gehaltskürzungen sowie verschlechterte Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegekräfte.
Ein Effekt sei, dass immer mehr Patienten vom öffentlichen System zu privaten Behandlern abwandern, wenn sie es sich leisten können. Das habe negative Konsequenzen für die Hausärzte, die im öffentlichen System eine Gatekeeper-Funktion haben.
"Diese Funktion geht verloren, wenn Patienten verstärkt ins private System gehen", sagte Marques. Die dort ungesteuerte Inanspruchnahme berge für die Patienten das Risiko unnötiger Behandlungen und einer Überdiagnostik.
Als eine Folge der schwierigen wirtschaftlichen Situation würde eine Reihe von Ärzten das Land verlassen. Genaue Zahlen über die Wanderungsbewegungen gebe es allerdings nicht.
Gravierende Auswirkungen auf die Versorgung in Portugal erwartet der Allgemeinmediziner, der selbst teilweise in Großbritannien arbeitet, noch nicht.
Portugal habe immer noch eine sehr hohe Arztdichte. Ähnlich wie in Deutschland gebe es allerdings einen Mangel an Hausärzten.
Nach Deutschland wollten nur wenige portugiesische Ärzte, betonte Marques. "Dafür ist die Sprache zu schwer."