Streit im Weserland
Notärzte für die Leichenschau
Schon wieder gibt es Ärger im Weserland mit dem Notdienst. Statt Ärzte aus dem Bereitschaftsdienst zur Leichenschau zu schicken, beschäftigt der Landkreis Verden damit seine Rettungsdienste - unhaltbar, wie viele finden.
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Wartet dieses Mal wirklich ein Notfall?
© Mathias Ernert
VERDEN. Hausärzte der Region Verden südlich von Bremen reiben sich verwundert die Augen: Immer seltener müssen die Kolleginnen und Kollegen im Bereitschaftsdienst nachts ausrücken, um Totenscheine auszustellen. Stirbt niemand mehr?
Tatsächlich stellen im Bereich des Notdienstringes immer häufiger die Notärzte den Totenschein aus, vor allem in Pflegeheimen, so der Eindruck vieler Niedergelassener.
Die Notärzte werden von der Leitstelle Verden alarmiert, weil Pflegeheim-Nachtschwestern ihr "Patienten ohne Vitalzeichen" melden. Zwar rufen die Pflegeheime den KV-Dienst an, haben aber nachts und am Wochenende im Landkreis Verden die Leitstelle am Telefon, die dann weitervermittelt.
In einem Schreiben des Landkreises Verden an die Leitstelle vom 25. April heißt es zu vermutlichen Todesfällen, also "Patienten ohne Vitalfunktionen": "Zu Patienten, denen die Vitalfunktionen fehlen, ist unverzüglich ein Arzt, im Zweifelsfalle der Notarzt (ggf. ohne Rettungswagen) zu entsenden, sofern nicht ohnehin ein Arzt vor Ort ist." Dabei sind Notärzte für Notfälle zuständig und nicht für Totenscheine.
"Normalerweise weiß man ja bei Patienten ohne Vitalzeichen: Der Patient ist tot", so eine Hausärztin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Die Nachtschwester spricht ja nur deshalb von fehlenden Vitalzeichen, weil sie selbst den Tod des Pflegepatienten nicht feststellen darf. Das darf nur ein Arzt oder eine Ärztin."
Dies wissend, alarmiert die Leitstelle bei "ohne Vitalfunktionen" trotzdem nicht den diensthabenden Kollegen im Bereitschaftsdienst, sondern oft den Rettungswagen plus Notarzt.
Absurde Situation
"Wir sind schon mit Blaulicht und Martinshorn zu Pflegeheimen gejagt, um dann mit dem Rettungskoffer in der Hand direkt in die Gedenkfeier für den Verstorbenen zu platzen", empört sich ein Rettungssanitäter, "das geht doch so nicht!"
Außerdem werde der palliativmedizinische Ansatz der Hausärzte durch das Erscheinen des Notarztes "ad absurdum geführt". "Wir sind ja nicht der Hausarzt und kennen den Patienten nicht und müssen die Polizei rufen, wenn die Todesursache unklar ist. Dann haben die Heime und die Angehörigen auch noch die Tatortgruppe der Polizei im Sterbezimmer!"
Beim Landkreis Verden hieß es, die schriftliche Anweisung sei "zur rechtlichen Klarstellung" ergangen, so Gerd Depke vom Fachdienst Ordnung und Verkehr, "die Leichenschau muss laut Bestattungsgesetz unverzüglich geschehen."
Ob Notärzte seither mehr Totenscheine ausgefüllt haben, weiß Depke nicht. Die entsprechenden Zahlen "würden sich nur unter erheblichem Aufwand ermitteln lassen".
Bei der KV-Bezirksstelle Verden ist der Ärger bekannt. "Wir sind da dran", sagt Stefan Grefe, zuständig für den Bereitschaftsdienst. "Wir haben ja nichts gegen eine ruhige Nacht", erklärt ein Hausarzt der Region, "aber hier wird wirklich Geld verschwendet.
Außerdem könnte ein Rettungswagen gerade dann für einen Notfall gebraucht werden, wenn er zu einem Toten unterwegs ist." Im Übrigen legen die Kassen pro Rettungs- und Notarzt-Einsatz bis zu 1000 Euro auf den Tisch. Ein Arzt im Bereitschaftsdienst tut das Gleiche für 100 Euro.
"Die Situation ist absurd", sagt Dr. Reinhold Merbs vom Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutschland (ÄLRD), "In Altenheimen sterben die Menschen nicht überraschend. Die Schwestern der Heime müssen am Telefon klar rüberbringen dürfen, was geschehen ist."