Streit im Weserland

Notärzte für die Leichenschau

Schon wieder gibt es Ärger im Weserland mit dem Notdienst. Statt Ärzte aus dem Bereitschaftsdienst zur Leichenschau zu schicken, beschäftigt der Landkreis Verden damit seine Rettungsdienste - unhaltbar, wie viele finden.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Wartet dieses Mal wirklich ein Notfall?

Wartet dieses Mal wirklich ein Notfall?

© Mathias Ernert

VERDEN. Hausärzte der Region Verden südlich von Bremen reiben sich verwundert die Augen: Immer seltener müssen die Kolleginnen und Kollegen im Bereitschaftsdienst nachts ausrücken, um Totenscheine auszustellen. Stirbt niemand mehr?

Tatsächlich stellen im Bereich des Notdienstringes immer häufiger die Notärzte den Totenschein aus, vor allem in Pflegeheimen, so der Eindruck vieler Niedergelassener.

Die Notärzte werden von der Leitstelle Verden alarmiert, weil Pflegeheim-Nachtschwestern ihr "Patienten ohne Vitalzeichen" melden. Zwar rufen die Pflegeheime den KV-Dienst an, haben aber nachts und am Wochenende im Landkreis Verden die Leitstelle am Telefon, die dann weitervermittelt.

In einem Schreiben des Landkreises Verden an die Leitstelle vom 25. April heißt es zu vermutlichen Todesfällen, also "Patienten ohne Vitalfunktionen": "Zu Patienten, denen die Vitalfunktionen fehlen, ist unverzüglich ein Arzt, im Zweifelsfalle der Notarzt (ggf. ohne Rettungswagen) zu entsenden, sofern nicht ohnehin ein Arzt vor Ort ist." Dabei sind Notärzte für Notfälle zuständig und nicht für Totenscheine.

"Normalerweise weiß man ja bei Patienten ohne Vitalzeichen: Der Patient ist tot", so eine Hausärztin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Die Nachtschwester spricht ja nur deshalb von fehlenden Vitalzeichen, weil sie selbst den Tod des Pflegepatienten nicht feststellen darf. Das darf nur ein Arzt oder eine Ärztin."

Dies wissend, alarmiert die Leitstelle bei "ohne Vitalfunktionen" trotzdem nicht den diensthabenden Kollegen im Bereitschaftsdienst, sondern oft den Rettungswagen plus Notarzt.

Absurde Situation

"Wir sind schon mit Blaulicht und Martinshorn zu Pflegeheimen gejagt, um dann mit dem Rettungskoffer in der Hand direkt in die Gedenkfeier für den Verstorbenen zu platzen", empört sich ein Rettungssanitäter, "das geht doch so nicht!"

Außerdem werde der palliativmedizinische Ansatz der Hausärzte durch das Erscheinen des Notarztes "ad absurdum geführt". "Wir sind ja nicht der Hausarzt und kennen den Patienten nicht und müssen die Polizei rufen, wenn die Todesursache unklar ist. Dann haben die Heime und die Angehörigen auch noch die Tatortgruppe der Polizei im Sterbezimmer!"

Beim Landkreis Verden hieß es, die schriftliche Anweisung sei "zur rechtlichen Klarstellung" ergangen, so Gerd Depke vom Fachdienst Ordnung und Verkehr, "die Leichenschau muss laut Bestattungsgesetz unverzüglich geschehen."

Ob Notärzte seither mehr Totenscheine ausgefüllt haben, weiß Depke nicht. Die entsprechenden Zahlen "würden sich nur unter erheblichem Aufwand ermitteln lassen".

Bei der KV-Bezirksstelle Verden ist der Ärger bekannt. "Wir sind da dran", sagt Stefan Grefe, zuständig für den Bereitschaftsdienst. "Wir haben ja nichts gegen eine ruhige Nacht", erklärt ein Hausarzt der Region, "aber hier wird wirklich Geld verschwendet.

Außerdem könnte ein Rettungswagen gerade dann für einen Notfall gebraucht werden, wenn er zu einem Toten unterwegs ist." Im Übrigen legen die Kassen pro Rettungs- und Notarzt-Einsatz bis zu 1000 Euro auf den Tisch. Ein Arzt im Bereitschaftsdienst tut das Gleiche für 100 Euro.

"Die Situation ist absurd", sagt Dr. Reinhold Merbs vom Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutschland (ÄLRD), "In Altenheimen sterben die Menschen nicht überraschend. Die Schwestern der Heime müssen am Telefon klar rüberbringen dürfen, was geschehen ist."

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

KV bittet Patienten um Geduld

In Brandenburg braucht der ePA-Rollout mehr Zeit

Kommentare
Jürgen Wolf 19.06.201317:50 Uhr

Notärzte / Leichenschau

Herr Beneker, Theologe und Coach im Gesundheitswesen, beschreibt eine seit langem alltägliche Situation. Dies ist lobenswert, muss sie doch immer wieder reflektiert werden. Aber der Tenor, den ich u.a. erkenne, ist doch der, dass die Notärzte einerseits den niedergelassenen Kollegen das Brot wegschnappen und andererseits für andere Notfälle nicht zur Verfügung stehen. Ich erlaube mir die Empfehlung, doch mal ein Wochenende am Rettungsdienst teilzunehmen, gerade jetzt in der trocken- oder schwülwarmen Jahreszeit. Erstens sind in vielen Alteneinrichtungen die Bewohner unterversorgt und zweitens sind die allerwenigsten Notdienstkollegen willig, die zum Teil langen Strecken von der Notfallpraxis zum Patienten auf sich zu nehmen. Die medizinische, oft auch menschliche Kompetenz von Pflegeheimmitarbeitern läßt zu wünschen übrig. In solch "leblosen" Fällen ist meine erste Maßnahme rasch eine Infusion anzulegen und zügig zu infundieren. Die Folge? Der leblose, nicht anprechbare Patient mit zusammenklebenden Schleimhäuten ist bereits beim Einladen in den RTW wieder ansprechbar und meist auch symptomlos orientiert. Dies geschieht nicht nur lokal in nur einem oder zwei Einrichtungen, dies erlebe ich in vielen Einrichtungen in drei verschiedenen Landkreisen.
Und de jure: Woher nimmt die zitierte, ungenannt bleibenden Hausärztin die Gewissheit, woran die auch langjährig betreuten Patienten letztlich gestorben sind? Alles nur sicher naheliegende Mutmaßungen, aber nicht umsonst hat der Gesetzgeber den aufwändigen Papierkrieg vorgesehn. Welcher Kollege kennt die meisten Indizien, die auf eine unnatürliche Todesart hinweisen? Welcher Kollege entkleidet denn wirklich einen Verstorbenen und betrachtet ihn von allen Seiten?
Auch sollten doch Kollegen überlegen, ob sie den kachektischen Tumorpatienten im Finalstadium nicht eher zu Hause zum Tod betreuen anstatt ihn mit Notarzt zum x-ten Mal in die Klinik einzuweisen. Letzteres erwähne ich, da das tatsächliche Retten zahlenmäßig stark in den Hintergrund getreten ist, sondern ich empfinde meine Rettungseinsätze zu einem Großteil als Sozialpsychiatrischen Dienst oder Vertretungsdienst für den kassenärztlichen Notdienst. Das könnte ich auch mit Zahlen belegen, falls ein großes Aufheulen zu hören ist...

Wenn ich hier mit dem Finger zu zeigen scheine, so vor allem auf Entscheidungsträger und Politiker. Die übrigen Genannten können sich oft arbeitsbedingt nur wenig den vielen alltäglichen Absurditäten entziehen.

Dr. Gregor Heitlage 11.06.201301:32 Uhr

Totenscheine

Ist doch ein Zubrot zum sonstigen Geld.... Wieviel das wohl sein mag?

Jörg Dähn 10.06.201316:23 Uhr

Da ist die Lösung doch klar:

DIe Rettungsdienste rufen immer schön konsequent die Polizei und dann wird sich nach ein bis zwei Monaten der Spuk erledigt haben. Die Polizei wird sch schon bei den zuständigen Stellen beschweren . . .

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Im Jahr 2023 wurden 10,8 Millionen Neuerkrankungen und 1,25 Millionen Todesfälle durch Tuberkulose registriert, mit stark heterogener globaler Verteilung.

© Dr_Microbe/stock.adobe.com

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung