Kommentar – Debatte über Widerspruchslösung

Organspende-Kompromiss in Sicht?

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:

Nun also doch: In der Zeitung mit den großen Buchstaben wirbt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn heute für einen Richtungswechsel bei der Organspende.

Aus der Entscheidungslösung soll die doppelte Widerspruchslösung werden. Bedeutet im Klartext: Auch Angehörige sollen das Recht haben, einer Organentnahme ihres Verstorbenen widersprechen zu können, wenn keine Willensbekundung zu Lebzeiten abgegeben wurde.

Damit nimmt die Diskussion Richtung Kompromiss weiter Fahrt auf, doch die Wegstrecke ist noch lang. Das wird der von Spahn angeregte gesamtgesellschaftliche Diskurs zeigen, wobei neben den vielen ethischen Fragen auch die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Verfahrens überprüft werden wird.

Es wäre klug, den aktuellen Gesetzentwurf, in dem es um die Verbesserung der Strukturen geht, zeitnah zu verabschieden. Diesen Teil mit der Diskussion über die Widerspruchslösung zu koppeln, wäre zwar folgerichtig, würde aber das gesamte Projekt gefährden.

Lesen Sie dazu auch: Organspende: Spahn befeuert Debatte über die Widerspruchslösung

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 05.09.201813:44 Uhr

"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen" statt "doppelter Widerspruchslösung"!

Organspenden in "informationeller Selbstbestimmung" als freiheitliche Entscheidungslösung sind in der Tat Akte der Hilfsbereitschaft, Solidarität und Nächstenliebe.

Die Widerspruchslösung würde unterschiedslos jeden erfassen, der vergessen hatte, zu widersprechen oder es schlicht und ergreifend nicht kann: Säuglinge, Kleinkinder, Kinder, bio-psycho-sozial Benachteiligte oder Menschen mit geringem Bildungshorizont. Das widerspricht dem verfassungsmäßigen Auftrag von Benachteiligungsverbot und Chancengleichheit bzw. informationeller Selbstbestimmung.

Die europaweit verbreitete Widerspruchslösung offenbart ein irregeleitetes, paternalistisch geprägtes Verständnis von Transplantations-Medizin. Der Staat, das System der medizinischen Versorgung und die Institutionen, welche mit Organisation, Hirntod-Feststellung, Ex- und Implantation von möglichst lebensfrischen Spenderorganen betraut sind, wollen die Deutungshoheit gegenüber den Patientinnen und Patienten zurückgewinnen und die bio-psycho-sozialen bzw. medizin-ökonomischen Rahmenbedingungen der Transplantations-Medizin bestimmen.

Die individuell-aktive Entscheidungslösung ist dagegen ehrlicher und selbstbestimmter, allen Unkenrufen zu Trotz. Eine Entscheidungslösung funktioniert nur, wenn Medizin, Medien und Meinungsbildner in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft nicht erst am Krankenbett auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen, sich mit Sachargumenten erklären und Informations- und Selbstbestimmungslösungen vorleben.

Das individuelle, moralisch-ethische Dilemma der Entnahme möglichst vitaler Organe bei maximal fortgeschrittenem Sterben kann nicht in jedem Einzelfall für alle Beteiligten und Angehörigen befriedigend aufgelöst werden: Ein offener Diskurs über die Gratwanderung bei den p e r i - mortalen Abläufen von Organentnahmen bei festgestelltem Hirntod und rein intensiv-medizinisch-künstlicher Lebenserhaltung von Spenderorganen ist notwendig, um Spekulationen, "Fake-News", haltlose Behauptungen oder Gerüchtebildungen zu vermeiden.

Die bisherige Organisation der Transplantations-Medizin offenbart kontraproduktive Lücken: Offensichtlich scheuten die Gesetzlichen Krankenkassen der GKV bisher zusätzlich steigende Kosten, in dem sie zu kurz gehaltene Transplantations-Beauftragte und Organ-Explantatinsteams gegenüber den operativen Transplantations-Medizinern mit ihren Organ-Implantationen finanziell und logistisch diskriminiert haben.

Wenn der Spahn''sche Entwurf eines Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO) von einer medizin-rechtlich eher abwegigen Debatte um eine wie auch immer geartete Widerspruchslösung überlagert wird, scheitert u.U. das ganze Projekt.

"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen" bedeutet Stetigkeit, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Perspektive, Mut, Offenheit, medizinisch-kulturelle Reflexion und juristischer Sachverstand.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z.Zt. Ramatuelle/F)

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