Beschneidung

Pädiater entsetzt über Eckpunkte

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat Eckpunkte für eine Regelung der Beschneidung von Jungen vorgelegt. Muslime und Juden sind voll des Lobes - die Kinderärzte entsetzt.

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Beschneidungsmesser und 1. Mose 17.10: "Beschnitten werde bei euch alles, was männlich ist."

Beschneidungsmesser und 1. Mose 17.10: "Beschnitten werde bei euch alles, was männlich ist."

© David Ebener / dpa

NEU-ISENBURG (chb). Das Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums (BMJ) zur Beschneidung stößt auf sehr unterschiedliche Reaktionen. Besonders ablehnend reagiert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

"Wir sind entsetzt", sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Wolfram Hartmann, am Mittwoch der "Ärzte Zeitung".

"Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit soll dem Elternrecht untergeordnet werden", das sei nicht zu akzeptieren, so Hartmann.

In dem Vorschlag für eine gesetzliche Regelung heißt es: "Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll."

Zu den Regeln der ärztlichen Kunst zählt das BMJ hier unter anderem "im Einzelfall gebotene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung".

Da nach dem Vorschlag aus dem Ressort von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in den ersten sechs Lebensmonaten die Beschneidung auch von einer Person vorgenommen werden darf, die von einer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehen ist, die aber kein Arzt sein muss, sieht der BVKJ einen Widerspruch.

Denn diese Person dürfe keine Vollnarkose geben, das sei aber "nach übereinstimmender Ansicht pädiatrischer Schmerzspezialisten unverzichtbar".

Keine Körperverletzung bei Lege-artis-Prozedur

Bis zum 1. Oktober um 12 Uhr haben alle in die Beschneidungsdebatte involvierten Verbände Zeit, ihre Stellungnahme zu den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Eckpunkten vorzulegen.

Wichtigstes Ziel der Neuregelung bleibt, die Beschneidung von Jungen in Deutschland wieder rechtssicher zu machen. So soll im Kindschaftsrecht (Paragraf 1631d BGB) eine Regelung aufgenommen werden, die es Eltern ermöglicht, unter bestimmten Voraussetzungen in die Beschneidung einzuwilligen, ohne dass sie sich strafbar machen.

"Lege artis vorgenommene Beschneidungen von Jungen (sollen) nicht als Körperverletzung bestraft werden können und auch keine Schadensersatzpflicht auslösen", heißt es.

Diese Regelung gilt allerdings nur für Jungen, die noch nicht einwilligungsfähig sind.

Der BVKJ hat auch deswegen mit den Eckpunkten Probleme, weil diese sich auf eine Stellungnahme der Amerikanischen Akademie der Kinderärzte (AAP) vom August dieses Jahres beziehen.

Dort heißt es nach Angaben des BVKJ unter anderem, die gesundheitlichen Vorteile beschnittener Neugeborener seien größer als die Risiken (Pediatrics 2012; 130: 585).

Laut BVKJ haben mittlerweile weltweit 30 pädiatrische Verbände dieser Auffassung widersprochen. Die Stellungnahme der AAP sei durch Forschungsergebnisse nicht belegt, so der Verband.

Dem Ethikrat gefolgt

Als klugen Vorschlag, der Respekt und Anerkennung verdiene, bezeichnete der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, den Entwurf. Das Diskussionspapier bedürfe aber noch in Einzelfragen des Feinschliffs.

Der Zentralrat der Muslime begrüßte das Eckpunktepapier, weil es zur Rechtssicherheit beitrage. Kritisch sei aber die Regelung zu prüfen, "wonach Eingriffe bei Kindern bis zum Alter von sechs Monaten nicht der Arztpflicht unterliegen, Eingriffe bei älteren Kindern aber schon."

Diese Abstufung gelte es unter dem Aspekt der Gleichbehandlung zu erörtern, sagte die Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime, Nuhan Soykan.

So sollen jüdische Jungen am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden, im Islam ist aber eine Beschneidung bis zum Ende des Grundschulalters möglich.

Mit seinen Vorschlägen ist das BMJ weitgehend den Vorschlägen des Deutschen Ethikrats gefolgt.

Dieser hatte in seiner Stellungnahme am 23. August als rechtliche Standards für eine Beschneidung gefordert: umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten, qualifizierte Schmerzbehandlung, fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie ein Vetorecht des betroffenen Jungen, abhängig von seinem Entwicklungsstand.

Die Beschneidungsdebatte war im Mai durch ein Urteil des Kölner Landgerichts ausgelöst worden, das die Beschneidung als Straftat gewertet hatte. Der Bundestag soll noch im Herbst eine neue gesetzliche Regelung verabschieden.

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