Modernisierung der Gesundheitsämter
Pakt für den ÖGD: Stellenaufwuchs an langfristigen Zielen ausrichten
Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst bietet die Chance, die Gesundheitsämter umfassend zu modernisieren. Doch die Furcht geht um, es könnte die letzte Chance für viele Jahrzehnte sein.
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Der alte Rost soll ab: Mit dem ÖGD-Pakt hoffen die Gesundheitsämter auf modernere Aufgaben und Strukturen.
© Torsten Sukrow/SULUPRESS.DE/picture alliance
Berlin. Die Hoffnungen, die sich in den Gesundheitsämtern mit dem Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) verbinden, sind enorm groß. Mit den vier Milliarden Euro, die der Bund für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen bis 2026 zur Verfügung stellt, lässt sich in den 378 Gesundheitsämtern in der Bundesrepublik schon einiges anfangen.
Dazu gehört nicht nur, alte Gewohnheiten und Verwaltungsstrukturen einzureißen, wie Dr. Nicole Rosenkötter von der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und der Deutschen Gesellschaft für Public Health auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin sagte. Auch Aufgabenzuordnungen müssten neu geschrieben und ein Gesamtkonzept für den ÖGD entwickelt werden, in Betracht käme ebenso die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen.
Der ÖGD müsse mit den Hochschulen zusammenwachsen, multiprofessioneller, menschenzugewandter werden, sich vernetzen, besser mit den Kommunen und den Ländern verzahnen und ein neues Erscheinungsbild bekommen: jung, modern, agil - flankiert natürlich durch eine bessere Bezahlung, fügte Rosenkötter an. „Der Pakt ist eine Chance für den Neustart“, sagte sie. Doch in der ÖGD-Kommune macht man sich trotz aller Euphorie auch großen Sorgen: „Wenn wir den Pakt jetzt nicht nutzen, ist es dann für die nächsten 20 Jahre vorbei mit der Modernisierung?“, fasste Nicole Rosenkötter die Ängste zusammen.
Öffentlicher Gesundheitsdienst
Weichen für ÖGD der Zukunft gestellt
2000 neue Mitarbeiter schon eingestellt
2000 neue Mitarbeiter und damit mehr als die bis Ende 2021 anvisierten 1500 Beschäftigten wurden im Rahmen des Paktes einer Länderabfrage des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zufolge schon eingestellt. 75 Prozent der Besetzungen sollen nach der Vereinbarung auf Fachpersonal entfallen, 25 Prozent auf Mitarbeiter in der Verwaltung. Momentan „wissen wir aber nicht“, wie viele der neu besetzten Stellen auf die jeweiligen Berufsgruppen entfallen, sagte Gesa Kupfer vom BMG.
Skeptisch zeigte sich Professor Ansgar Gerhardus vom Institut für Public Health und Pflegeforschung an der Uni Bremen angesichts der Erfolgsmeldungen bei den Stellenbesetzungen. Wie man höre, sei in den Gesundheitsämtern der Drang vorhanden, die in der Vergangenheit „weggekürzten Stellen erst einmal aufzufüllen“. „Ich könnte mir vorstellten, dass die Orientierung an Pandemie erfolgt: Wir stellen Leute ein, die mit der Pandemie umgehen können.“ Wichtiger jedoch wäre, den Stellenaufwuchs an den langfristigen Zielen des ÖGD auszurichten.
Dazu gehört unter anderem, Public Health und ÖGD besser zu verzahnen. Ein Leitbild für einen modernen ÖGD haben die Gesundheitsminister der Länder im Übrigen schon 2018 entworfen. Umgesetzt oder wenigstens ansatzweise in Gesetze gegossen wurde das Leitbild bisher aber nicht, so die Erkenntnis auf dem Kongress. Schuld war die Corona-Pandemie.
Um das Leitbild umzusetzen, müssten die Länder die Regeln für die Aufgabenzuweisungen an die Gesundheitsämter ändern. Viele Aufgaben seien bisher an eine medizinische Kompetenz geknüpft, dabei mache die Medizin nur einen Teil eines modernen ÖGD aus. „Muss die Leitung eines Gesundheitsamtes immer ärztlich sein?“, fragte Dr. Elke Bruns-Phillipps, stellvertretende Vorsitzendes des Bundesverbands öffentlicher Gesundheitsdienst.
BMG visiert offenbar eigenen Tarifvertrag an
Auf dem Kongress kritisierte Bruns-Philipps noch die Länder-Arbeitgeber, die es trotz Pandemie immer noch ablehnten, einen eigenen Tarifvertrag für Angestellte des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu schaffen. Zur Zeit sei es so, dass sich die Kommunen über Zulagen gegenseitig das Personal abjagten.
Vielleicht bringt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hier Bewegung hinein. Im Arbeitsprogramm des Ministeriums ist für die zweite Jahreshälfte 2022 nicht nur anvisiert, die Einstellungsfristen beim Pakt für den ÖGD zu verlängern, die Ende 2022 auslaufen. Auch ein eingeständiger Tarifvertrag steht auf der Agenda.