Bundestag

Parlament winkt Spahns umstrittenes GVWG-Mammutgesetz durch

Tariflöhne für Altenpfleger, Entlastung für Heimbewohner, neue Zweitmeinungsverfahren, mehr Steuergeld für die Kassen: Der Bundestag bringt nach langer Diskussion ein weiteres Gesetz zur Gesundheitsversorgung auf den Weg.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Blick in den Plenarsaal: Am Freitagabend hat der Bundestag dem von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf zum GVWG zugestimmt.

Blick in den Plenarsaal: Am Freitagabend hat der Bundestag dem von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf zum GVWG zugestimmt.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Der Bundestag hat das Mammutprojekt namens Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz (GVWG) beschlossen. Union und SPD stimmten am Freitagabend für den von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf.

Das GVWG ist das letzte gesundheitspolitische Gesetzespaket in der laufenden Legislaturperiode – und eines der größten. Das Paket umfasst mehrere Hundert Seiten Text und etliche Detailregelungen.

Vorgesehen ist etwa ein verpflichtender Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung für Ärzte im SGB V sowie Modellprojekte zur Übertragung ärztlicher Leistungen an Pflegekräfte. Vorgenommen werden mit dem Gesetz auch Korrekturen an der Bereinigung von Leistungen, die für Ärzte im Zuge des Terminservice-Gesetzes eingeführt wurden.

Zankapfel Tarifpflicht

Lange gerungen wurde um die ans Gesetz drangehängten Neuregelungen in der Pflege. Verpflichtende Tarifverträge in der Altenpflege hatten zu Debatten in der Koalition und heftiger Kritik von Pflegeanbietern geführt.

So sollen Kassen ab Herbst 2022 Versorgungsverträge nur noch mit den Pflegeeinrichtungen abschließen, die Pflegekräften einen Lohn zahlen, der in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart ist.

Dort, wo keine Tarifverträge oder kirchlichen Regelungen zum Tragen kommen, muss mindestens ein Lohn gezahlt werden, der nicht unter Tarif liegt. Abgesenkt werden sollen auch die pflegebedingten Eigenanteile der Heimbewohner. Dies soll über zeitlich gestaffelte Zuschüsse aus der Pflegeversicherung geschehen.

Zuschüsse zu Eigenanteilen

Zur Gegenfinanzierung von Tariflöhnen und Zuschüssen schießt der Bund erstmals eine Milliarde Euro zur Pflegeversicherung dazu. Die Beiträge für Kinderlose zur Pflege steigen ab Januar 2022 um 0,1 Prozentpunkte. Das spült rund 400 Millionen Euro in die Pflegekassen.

Gesundheitsminister Spahn hatte die Kosten der Pflegereform auf drei Milliarden Euro beziffert. Die Reform sei „sauber“ ausfinanziert, da die Leistungsdynamisierung in der stationären Pflege mit rund 1,6 Milliarden Euro eingepreist sei.

Arbeitgeberverbände in der Altenpflege sprachen mit Blick auf die Tarifregelungen am Freitag erneut von Zwang. Die Koalition habe eine Entscheidung „gegen jede Vernunft und gegen mittelständische Unternehmen“ getroffen, sagte bpa-Chef Bernd Meurer. Viele Pflegebetriebe seien damit in ihrer Existenz bedroht.

Trippelschritt statt Strukturreform

Die Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Pflege, Isabell Halletz, nannte die Reform einen „üblen Bruch der Politik mit der gelebten Tarifautonomie und eine weitere Bevormundung für Pflegeunternehmen“. Auch Gewerkschaften übten Kritik.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte, mit Spahns „Trippelschritt“ sei keine Strukturreform in der Pflege zu schaffen. „Das hilft niemandem – weder den Pflegebedürftigen noch den Angehörigen und schon erst gar nicht den Beschäftigten in der Altenpflege.“

Spahn erklärte, „mit höheren Löhnen, mehr Kompetenzen und mehr Kolleginnen und Kollegen“ mache die Koalition den Pflegeberuf attraktiver. „Gleichzeitig entlasten wir Pflegebedürftige und ihre Familien in Milliardenhöhe.“

Lohnsteigerungen bis zu 300 Euro im Monat möglich

SPD-Fraktionsvize Katja Mast sagte, von der Tarifregelung profitierten vor allem Frauen. „Ein guter Nebeneffekt: Ihre Rente wird dadurch höher.“ Im Einzelfall seien Lohnsteigerungen von bis zu 300 Euro im Monat drin. Der CSU-Gesundheitspolitiker Erich Irlstorfer betonte, Wertschätzung drücke sich auch in guter Entlohnung aus. Dafür sorge das Gesetz.

Linken-Pflegepolitikerin Pia Zimmermann nannte die Beschlüsse dagegen Augenwischerei. „Haustarifverträge gelten als tarifliche Entlohnung; Menschen werden für ihre möglicherweise unfreiwillige Kinderlosigkeit mit Beitragserhöhungen bestraft, Menschen mit Pflegebedarf wird weiter in die Tasche gegriffen.“

Außer den Pflege-Neuregelungen sieht das GVWG unter anderem vor:

  • Qualitätsverträge mit Kliniken sollen Qualitätszuschläge und Abschläge ersetzen. In Krankenhäusern wird ein Personalbemessungsverfahren eingeführt, ebenso in der Langzeitpflege.
  • Für Versicherte wird der Zweitmeinungs-Anspruch auf weitere planbare Eingriffe ausgedehnt. Festlegen soll diese der GBA. Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten werden von einer Ermessens- in eine Pflichtregelung umgewandelt. Für Patienten mit Adipositas soll es ein DMP geben.
  • Im Krankenhaus wird ein einheitliches Ersteinschätzungsverfahren für die Notfälle eingeführt. Über das Verfahren sollen ambulante Notfallleistungen abgerechnet werden.
  • Die Modellklauseln zur Erprobung akademischer Ausbildungsangebote in Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie werden bis Ende 2026 verlängert.
  • Ein neuer Anspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus ist ebenfalls Teil des Pakets. Voraussetzung ist, dass sich erforderliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege, der Kurzzeitpflege, der medizinischen Reha oder weitere Pflegeleistungen nur „unter erheblichem Aufwand“ sicherstellen lassen.
  • Die GKV beteiligt sich mit 640 Millionen Euro pro Jahr an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen.
  • Ein ergänzender Bundeszuschuss an die Kassen in Höhe von sieben Milliarden Euro ist ebenfalls beschlossen. Damit soll ein Anstieg der Zusatzbeiträge verhindert werden.
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