Spahns Sonderermächtigungen in der Kritik
Parlamentarier wollen bei Corona wieder mitreden
Parlamentspräsident Schäuble stupst den Bundestag an. Pandemiebekämpfung ist nicht nur Sache der Regierung.
Veröffentlicht:Berlin. Im Bundestag gärt es. Die Parlamentarier wollen in Corona-Angelegenheiten wieder mitreden und nicht einfach nur die Verordnungen von Jens Spahn sowie der Länder hinnehmen.
„Wir müssen die Generalklausel präziser fassen und konkrete Bedingungen nennen, wann Maskenpflicht oder Sperrstunden angeordnet werden können“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar am Dienstag der „Ärzte Zeitung“. Die Fraktion arbeite bereits daran.
Die „gebotene Eile“ für weitere Corona-Maßnahmen könne auch durch parlamentarische Verfahren sichergestellt werden, betonte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Karin Maag gegenüber der „Ärzte Zeitung“.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Auslöser der Unruhe ist ein Papier des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages, in dem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Regierens per Verordnung laut werden. An die Fraktionen versandt hat es Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU).
Der Bundestag müsse deutlich machen, dass Pandemiebekämpfung nicht ausschließlich Sache der Exekutive und der Judikative sei, formulierte er in seinem Begleitschreiben. Er stehe zudem als Vermittler bereit.
Die zwei Seiten „Empfehlungen“ des WD haben es in sich. Es beständen Bedenken, ob die Grundrechtseingriffe aufgrund der Corona-Pandemie auf eine Generalklausel gestützt werden könnten.
So wird’s empfohlen
- Konkrete Ermächtigungsgrundlagen anstelle einer Generalklausel wie in Paragraf 28 Infektionsschutzgesetz führen zu „echter Beschränkung“ der Befugnisse.
- Befristung einzelner Maßnahmen auf zwei Wochen, dann erneute Prüfung.
- Zustimmungsvorbehalt des Bundestages für Rechtsverordnungen oder ein Recht des Parlaments, Verordnungen zu kassieren.
- Verpflichtende Unterrichtung des Bundestags durch die Regierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie.
Im März hatte der Bundestag den Gesundheitsminister mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes derartige Sonderrechte übertragen, verbunden mit einem Verfallsdatum Ende März 2021. Dazu gehört das Recht, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit oder die Unverletzlichkeit der Wohnung einzuschränken.
Einschränkungen werden zudem ebenfalls am Parlament vorbei zwischen Bundeskanzlerin und den Länder-Chefs verabredet. Die Autoren des WD schlagen daher vor, Corona-Verordnungen von Bund und Ländern fallweise zu befristen, zum Beispiel auf zwei Wochen mit Verlängerungsoption nach Prüfung.
Zudem sollen Verordnungen unter einen Zustimmungsvorbehalt des Bundestages gestellt werden. Um Überraschungen zu vermeiden sollte die Bundesregierung verpflichtet werden, das Parlament über ihre Schritte zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterrichten, und zwar „zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend“.
Würden diese Vorschläge umgesetzt, hätte dies den Nebeneffekt, dass das Regelwerk „gerichtsfester“ würde, schreiben die Autoren des Papiers. Zuletzt hatte das Berliner Verwaltungsgericht eine Vorgabe gekippt, Kneipen in Berlin um 23 Uhr zu schließen. Dies gilt zumindest für die klagenden Wirte.
Spahn: Das ist nicht Willkür
Es sei nicht Willkür, dass es diese Möglichkeiten für den Bund und die Länder gebe, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag dem „ZDF-Morgenmagazin“. Dies seien gesetzliche, vom Bundestag beschlossene Grundlagen. Er verteidigte einen aktuell umstrittenen Gesetzentwurf, in den Spahn eine Verlängerung des Rechtes hat hineinschreiben lassen, die Einreisebestimmungen auch über März 2021 hinaus einheitlich zu regeln. Das sollte in den Ländern nicht verschieden gehandhabt werden.
Corona-Maßnahmen: Abgeordnete sehen Gewaltenteilung in Schieflage
So reagieren Ärztevertreter und Opposition auf die neuen Corona-Beschlüsse