"Pflege für Schwerstkranke gibt es nicht zum Nulltarif"

Seit drei Jahren haben GKV-Versicherte einen Rechtsanspruch auf SAPV. Der Pallivativmediziner Dr. Thomas Sitte kämpft für deren Umsetzung: Denn bisher hänge es von vielen Zufällen ab, ob ein Patient eine angemessene Versorgung erhalte.

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Ärzte Zeitung: Sie haben eine Stiftung gegründet mit dem Ziel, dass jeder gesetzlich Versicherte eine palliativ-hospizliche Versorgung erhält, wenn er sie braucht. Wie würden Sie die Situation in Deutschland beschreiben?

Dr. Thomas Sitte: Es ist von vielen Zufällen abhängig, ob Patienten eine angemessene Versorgung erhalten. Es gibt immer noch einen Flickenteppich. Das ist unserer Gesellschaft unwürdig. Ich hoffe, dass mehr und mehr Menschen ihrer sozialen Verantwortung nachkommen und mithelfen, dies zu verändern. Wir müssen regionale und multiprofessionelle Projekte besser vernetzen. Dadurch, dass unsere Stiftung keinem Verband oder einer anderen Einrichtung verpflichtet ist, können wir leichter auf andere zugehen und sie zusammenbringen.

Ärzte Zeitung: Zum Stichwort regionale Vernetzung: Wie sieht Teamarbeit in der Palliativmedizin aus?

Sitte: In Fulda knüpfen wir mit unserem SAPV-Team seit mehr als zehn Jahren an einem engen Netz. Wir kennen und vertrauen einander. So können wir immer auch zur Unzeit auf verlässliche Partner zugreifen. Dazu gehören Apotheken, Hospizdienste, Haus- und Fachärzte, ambulante Pflegedienste, Kurzzeitpflege, Physiotherapeuten, Sanitätshäuser und Seelsorger. Um die Versorgung am Lebensende zu verbessern, braucht es gemeinsame Schritte, ohne primär für sich selbst Vorteile zu sehen. Wir sollten auch immer daran denken, dass es uns und uns nahe stehenden Menschen, jederzeit treffen kann.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet so ein Netz für die Patienten?

Sitte: Manchmal brauchen die Patienten und ihre Familien nur Beistand und Sicherheit, manchmal muss von heute auf morgen sehr viel organisiert werden. Nehmen Sie einen schwerstkranken Patienten, der an einem Gründonnerstag zum Sterben nach Hause kommt. Dann habe ich in der Regel, ohne jeden - eigentlich notwendigen - Dienstweg am Karfreitag dort ein Pflegebett stehen und eine Physiotherapeutin kommt täglich zur manuellen Lymphdrainage, wenn zum Beispiel Unterhautödeme die Atmung beeinträchtigen. Dazu bekommt der Patient sofort die notwendigen Medikamente, auch Opioide. Sonst müsste er ja wieder ins Krankenhaus zurück.

Ärzte Zeitung: Seit April 2007 haben gesetzlich Versicherte einen Rechtsanspruch auf SAPV. Aufgrund Ihrer Petition, die mehr als 2200 Unterstützer gefunden hat, hat der Bundestag die Krankenkassen ermahnt, ihrer Pflicht nachzukommen. Warum sperren sich die Kassen?

Sitte: Die Petition habe ich vor gut einem Jahr gestellt. Da sind wir jetzt einen Schritt weiter gekommen. Der zögerliche Abschluss von Verträgen hat mehrere Gründe - nicht zuletzt, weil die Neubildung von Team- und Netzstrukturen viel Zeit braucht. Viele Palliative-Care-Teams haben leidvoll erfahren, dass manche Krankenkassen in den Verhandlungen ihre Position zum Teil ausgenutzt und nur wenig Transparenz gezeigt haben. Zum Teil haben Versicherte in der letzten Lebensphase deshalb ihren Rechtsanspruch auf SAPV auf dem Gerichtsweg durchsetzen müssen. Flächendeckend kann sich die SAPV nur durchsetzen, wenn auch kostenintensive Strukturen vorgehalten werden. Pflege für Schwerstkranke gibt es nicht zum Nulltarif.

Die Fragen stellte Sabine Schiner.

Dr. Thomas Sitte

Der Palliativmediziner Dr. Thomas Sitte aus Fulda setzt sich seit Jahren für eine flächendeckende Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung ein. Sitte gehört zu den Gründern der Deutschen Palliativ-Stiftung. Das Grundstockvermögen beträgt 200 000 Euro. Auch damit könne man schon etwas ändern.

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