Hintergrund

Planspiel Bedarfsplanung: So entsteht auch in Berlin ein Ärztemangel

Das geplante GKV-Versorgungsgesetz soll die Bedarfsplanung ändern. Planspiele der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin zeigen dann einen hohen Arztbedarf für die Hauptstadt.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Wie im Brennglas zeigt die Hauptstadt die Strukturprobleme der Ärzteversorgung in Deutschland: Ungleichgewicht und Heterogenität.

Wie im Brennglas zeigt die Hauptstadt die Strukturprobleme der Ärzteversorgung in Deutschland: Ungleichgewicht und Heterogenität.

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Kleinräumige Bedarfsplanung heißt das Stichwort, das im Rahmen des Versorgungsgesetzes diskutiert wird. Die Planungshoheit soll weitgehend auf die Regionen übergehen. So kann vor Ort festgelegt werden, wie groß die Bedarfsplanungsbezirke sein sollen.

"Berlin ist nicht mehr überversorgt." Dr. Uwe Kraffel, KV-Vize in Berlin

Die Hauptstadt Berlin ist ein einziger Zulassungsbezirk. Das kommt immer wieder in die Diskussion, zum Beispiel wenn sich bei der Berliner Patientenbeauftragten Patienten aus Treptow-Köpenick beschweren, dass sie keinen Termin beim Neurologen bekommen.

Trend in die Berliner Wohlstandsbezirke

Ärzte würden Bezirke wie Neukölln, Marzahn-Hellersdorf oder auch Treptow-Köpenick zunehmend verlassen und in die wohlhabenden Bezirke Charlottenburg-Willmersdorf oder Steglitz-Zehlendorf ziehen, heißt es. Gefordert wird dann gern, dass die Zulassungsbezirke wieder kleiner gefasst werden.

Davon hält die Kassenärztlichen Vereinigung Berlin jedoch nicht viel. "Wir sind sehr wohl der Meinung, dass Berlin ein Zulassungsbezirk bleiben soll", sagte KV-Vize Dr. Uwe Kraffel in der Vertreterversammlung. Einer kleinräumigeren Betrachtungsweise des Versorgungsbedarfs will er sich jedoch nicht generell verschließen.

Dafür bieten sich die so genannten lebensweltlich orientierten Räume (LOR) an, mit denen der Senat seine Sozialstatistiken erfasst. Es gibt sie in unterschiedlicher Feinheit. Je nachdem teilt sich die Stadt in 60, 134 oder 447 solcher Planungsräume oder gar in 12 275 Wohnblöcke.

Kraffel zeigt Folien. Je feiner die Untergliederung, desto mehr rote Flecken mit zu wenig Ärzten tauchen auf. "Je kleinräumiger ich plane, einen desto höheren Bedarf an Ärzten habe ich", sagt der KV-Vize. Allerdings gebe es dann auch schnell Überversorgung, wenn sich in einem Wohnblock eine Gemeinschaftspraxis ansiedelt, warnt er.

Das Versorgungsgesetz und mit ihm die Änderung der Bedarfsplanungsrichtlinien soll dem wachsenden Ärztemangel entgegen wirken. Die Gründe, die für den Ärztemangel im Allgemeinen ins Feld geführt werden, lässt Kraffel jedoch nicht gelten.

So sei die Überalterung der Ärzte eine Mär, zumindest für Berlin. Das Durchschnittsalter der Ärzte in der Hauptstadt liege bei 52,5 Jahren. Laut Kraffel zeigt die Alterskurve "eine ganz normale Verteilung".

Die Feminisierung der Medizin leugnet der KV-Vize nicht. Aber er bezeichnet es als "Chauvinismus", zu unterstellen, dass Ärztinnen weniger arbeiten als Ärzte.

Anhand von Fallzahlen widerlegt Kraffel die Behauptung in der Diskussion um Ärztemangel, dass Medizinische Versorgungszentren die Versorgung stärken könnten. Alle Berliner Ärzte behandeln seinen Angaben zufolge im Durchschnitt 1228 Patienten im Quartal.

In den MVZ werden laut Kraffel aber von einem Arzt nur 810 Patienten pro Quartal behandelt. Daraus leitet er ab, dass MVZ "nicht als Entlastung, nur als Notnagel" gesehen werden können.

Für sinnvoll hält er dagegen die diskutierte Aufhebung der Mengenbegrenzung in unterversorgten Gebieten. Auch Filialpraxen seien in Flächenländern wie Brandenburg eine Option, wobei aber berücksichtigt werden müsse, dass Teilzeitpraxen unwirtschaftlich seien. Hier sieht Kraffel die Kommunen finanziell in der Pflicht.

Dass selbst in der Hauptstadt ein Mangel an Ärzten empfunden wird, hat Kraffel zufolge andere als die herkömmlich angeführten Gründe. So gebe es heute 22 Prozent mehr Leistungen als 1992, dem Basisjahr der Bedarfsplanung. Zudem werde die Bevölkerung immer älter.

Das wirkt sich unterschiedlich auf Fachgruppen aus: Kraffel zeigt beispielhaft sinkenden Bedarf bei Gynäkologen oder Psychotherapeuten, steigenden Bedarf bei Augenärzten und Urologen.

Große Unterschiede in der Bevölkerungsstruktur

Die regional sehr unterschiedliche Altersstruktur in Berlin veranschaulicht er mit den sprichwörtlichen "Wilmersdorfer Witwen" und der "Kinderwagenhochburg Kreuzberg". Der Altersfaktor gehe in Berlin aber nicht in die Bedarfsplanung ein.

Ebenfalls nicht in die Bedarfsplanung eingegangen sei die Tatsache, dass die Berliner Ärzte Brandenburger Patienten mitbehandeln. "Das ist das, was die Bevölkerung spürt", sagt Kraffel. Bei einer kleinräumigen Betrachtungsweise müsse zudem berücksichtigt werden, wie Patienten innerhalb der Stadt wandern und welcher Anteil der Bevölkerung eine bestimmte Arztgruppe nutzt, fordert der KV-Vize.

Damit erklärt er auch, warum die Treptower und Köpenicker einen Mangel an Neurologen empfinden: In dem Bezirk sind nach seinen Angaben acht Prozent der Bevölkerung in neurologischer Behandlung, während es in Reinickendorf nur drei Prozent sind.

Kraffel zieht zwei Schlüsse. Der Erste ist: "Berlin ist längst nicht mehr überversorgt." Der Zweite: "Das war ein Einblick, wie kompliziert man Bedarfsplanung machen kann."

Lesen Sie dazu auch den Standpunkt: Brennglas Berlin

Lesen Sie dazu auch: Schwere Bedenken gegen Bedarfsplanung en détail

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Kommentare
Dr. Bernhard reiß 22.04.201123:20 Uhr

Die KV lenkt ab!

Natürlich kann Berlin in beliebig viele Bezirke zerlegt werden. Natürlich kann man darüber streiten, ob man einzelne Wohnblocks tatsächlich sinnvollerweise als Planungsbezirk ansehen soll. Aber darum geht es nicht. Die KVen waren und sind landauf und landab seit Jahren nicht in der Lage die Ärzte dorthin zu verteilen, wo sie auch gebraucht werden. Bihser galt: Hauuptsache die Gesamtzahl stimmt. Und das, obwohl man um Demographie, Einkommensstrukturen und Nachwuchsmangel wußte! Es entstanden Lücken und Übervesorgung. Die KV schaute zu. Das nennt man Selbstverwaltung. Nun kommen die Verantwortlichen aus der selbstverschuldeten Nummer nicht mehr heraus und jammern über politische Vorgaben, anstatt endlich ihrer Aufgabe nachzukommen. Warum ziehen die Kollegen weg? Viel Arbeit und wenig Geld. Ganz einfach. Und da macht dann kleineräumige Planung doch sinn. Denn wenn der Sitz nur da vergeben wird, wo er auch gebraucht wird und nicht enfach verlegt werden kann, das Budget entsprechend angepasst wird,dann finden sich auch Ärzte die sich dort niederlassen. Die KVen sehen den Ernst der Lage nicht! Können sie dieses Problem nicht lösen, dann löst es Herr Kollege Rösler für sie. Die KVen verlieren dann ihren Sicherstellungsauftrag und damit einen großen Teil ihrer ohnehin zweifelhaften Existenzberechtigung.

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