Pädiater betont Kindeswohl

Praxisschild „Wir sprechen ausschließlich Deutsch“ löst Debatte aus

Kleines Schild, große Wirkung: Eine Kinderarztpraxis in Baden-Württemberg behandelt nur Patienten mit Deutschkenntnissen oder Dolmetscher. Für die Praxis geht es um das Wohl der Kinder, für Kritiker um Rassismus.

Veröffentlicht:
„Wenn kein Dolmetscher da ist und die Patienten uns nicht verstehen, dürfen wir sie eigentlich nicht behandeln“: Ulrich Kuhn, niedergelassener Pädiater in Kirchheim/Teck.

„Wenn kein Dolmetscher da ist und die Patienten uns nicht verstehen, dürfen wir sie eigentlich nicht behandeln“: Ulrich Kuhn, niedergelassener Pädiater in Kirchheim/Teck.

© Marius Bulling/dpa

Kirchheim/Teck. Eine Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck behandelt nur noch Patienten, die Deutsch sprechen oder mit Dolmetscher kommen. „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch!“ steht auf einem Schild am Empfang der Praxis unweit von Stuttgart. Die Regel sorgte für Diskussionen im Netz und Rassismusvorwürfe. Notfälle würden auch ohne Dolmetscher behandelt werden, betonte Kinder- und Jugendarzt Ulrich Kuhn. „Wir schicken niemanden weg, der nicht Deutsch spricht, darum geht es gar nicht.“

Man wolle Patienten gefahrenfrei, sicher und vernünftig behandeln. „Das war die Motivation, dieses Schild aufzustellen“, erläuterte der 60-Jährige. Es seien immer mehr Eltern mit Kindern gekommen, die kein oder so gut wie kein Wort verstanden hätten. So sei weder eine Behandlung noch eine Diagnose möglich gewesen. „Wir konnten den Patienten und ihren Eltern einfach nicht vermitteln, was zu tun ist.“

„Wir müssen uns rechtlich absichern“

Man habe keine Fragen stellen können, etwa nach Allergien oder der medizinischen Vorgeschichte, die natürlich auch das therapeutische Vorgehen beeinflusse. „Beim Thema Impfung begehen wir jedes Mal eine kleine Körperverletzung, im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches und auch im Sinne des Strafgesetzbuches. Wir müssen uns rechtlich absichern.“

Seit etwa zwei Monaten steht das Hinweisschild am Empfang der großen Kirchheimer Kinderarztpraxis. Darauf heißt es auch: „Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“

Von den Patienten habe man keine negative Reaktion darauf bekommen – im Gegenteil, sagte Kuhn. Man sei auch bestärkt worden. „Eltern mit migrantischem Hintergrund haben nicht negativ reagiert, sondern die haben einfach umgesetzt, was wir wollten. Sie bringen jetzt Dolmetscher mit.“ Und eine Praxis am Bodensee habe angefragt, ob sie das Schild übernehmen dürfe, berichtete der Mediziner.

Rund jeder zweite Patient mit Migrationshintergrund

Rund 3.500 Kinder und Jugendliche werden laut Kuhn pro Quartal in der Praxis behandelt. Seit rund 23 Jahren praktiziere er mit seinem Kollegen vor Ort. Etwa jeder zweite Patient habe inzwischen einen Migrationshintergrund.

Außerhalb der Praxisräume in sozialen Netzwerken etwa und in Internet-Rezensionen fielen die Reaktionen durchwachsener aus. Neben Verständnis gab es auch deutliche Kritik an dem Vorgehen. „Ich bin absolut entsetzt“, kommentierte eine Nutzerin. Und eine andere schrieb: „Für mich bodenlos, respektlos und rassistisch.“

Die Mediziner kennen die Rassismusvorwürfe, das Schild soll trotzdem bleiben. „Wir wissen, dass das nicht unsere Motivation ist – deshalb interessieren mich Meinungen von Menschen, die mit unserer Praxis gar nichts zu tun haben, nicht extrem“, betonte Kuhn.

Laut der Landesärztekammer Baden-Württemberg können Ärzte die Behandlung von Patienten unter verschiedenen Umständen abbrechen – auch wenn es grundlegende Verständigungsprobleme gibt. Berufsrechtlich sei der Ärztin beziehungsweise dem Arzt ein erheblicher Ermessensspielraum zu belassen.

Übersetzungsprogramme sind nur unzureichende Krücke

Von der KV Baden-Württemberg in Stuttgart hieß es, dass die Situation für Ärzte kaum lösbar sei. „Auf der einen Seite möchten sie Patienten behandeln, auf der anderen Seite müssen sie Patienten aufklären.“ Dafür sei ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich. Anwendungen wie Google Translator seien da nur suboptimal und würden viel Zeit kosten, die dann nicht für andere Patienten zur Verfügung stünden.

Dass eine rechtskonforme Aufklärung über Impfungen bei Sprachbarrieren nahezu unmöglich sei, sei sicher jedem klar, sagte ein Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Berlin. „Hier den geeigneten Mittelweg zu finden, ist tägliches Brot einer Kinder- und Jugendpraxis.“

Für die Praxis steht unterdessen fest: „Dieses Schild hat überhaupt keine diskriminierende Aussage“, so Kuhn. Es habe nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit der Realität. „Wenn kein Dolmetscher da ist und die Patienten uns nicht verstehen, dürfen wir sie eigentlich nicht behandeln. Wenn wir das trotzdem tun, bewegen wir uns ständig in einem rechtlichen Graubereich.“ (dpa)

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Kommentare
Dr. Alexander Türstig 31.07.202418:29 Uhr

Wir behandeln nur Augen

Was würde heute passieren, wenn das auf dem Praxisschild eines Augenarzt es stände? Was für ein "...ist" wäre diese/r Kollege/in dann?
Muss ein deutscher Arzt türkisch, russisch arabisch oder wer weiß was sprechen?. Kann nicht auch der Patient einen Dolmetscher mitbringen? Muss jeder Basisarzt alles aus seinem bescheidenen Budget für ihn bezahlen??
Ich bin sehr froh, denn ich praktiziere nicht mehr als Augenarzt, auch nicht in einer Privatpraxis.

Nezahat Baradari 31.07.202418:25 Uhr

Pfui Deibel!
Und ob es mit Diskriminierung zu tun hat! Erschreckend, dass hier sogar acht! Likes abgegeben wurden. Als wenn biodeutsche Patienten trotz Deutschkenntnisse alles verstehen würden- auch sie verstehen oft nur Bahnhof über medizinische Zusammenhänge. Rechtspopulistische und rassistische Meinungen haben erst recht in einer Arzt- bzw. Kinderarztpraxis nichts zu suchen. Ein verantwortlicher Kollege/ -in hätte sich längst um die kostenlosen und frei verfügbaren Impfaufklärungen im Internet abgespeichert und stellte diese den Eltern bzw. den Patienten zur Verfügung. So intelligent scheint der Kollege doch nicht zu sein? Oder der Versuch Rassismus salonfähig zu machen? Ich empfehle dem Kinderarztkollegen ein Geschichtsbuch vor allem über Nazideutschland- aber auch über geflüchtete (Kinder-)Ärzte, die damals auch kein Wort der anderen Fremdsprache konnten in den Ländern wie USA, Türkei, Syrien etc.

Ines Wittig-Herold antwortete am 01.08.202414:38 Uhr

Die Diskussion findet in einer Fachzeitschrift statt, deshalb sollten hier fachliche Aspekte im Vordergrund stehen. Ihr Beitrag, Frau Baradari, missbraucht dieses Forum als politische Bühne zur Darstellung der Position Ihrer Partei.
Fakt ist, wie Sie richtig bemerken, dass medizinische Fachsprache für den Laien un- oder missverständlich sein kann. Ob die Patienten mit deutschen Sprachkenntnissen OFT nur Bahnhof verstehen, dürfte sich von einer Einzelperson kaum beurteilen lassen. Fakt ist jedoch auch, dass mangelnde Kenntnis von Laien- bzw. Umgangssprache das Verständnis von Fachsprache erschwert.
Aus diesem Grunde sollte die Mitwirkungspflicht des Patienten, in diesem Fall die Pflicht des Erwerbs von Sprachkompetenz, im Interesse eigener Gesundheit und Sicherheit nicht außer Acht gelassen werden. Ich arbeite als Dolmetscherin und erlebe häufig, mit welcher Anspruchshaltung Nicht-Muttersprachler gegenüber dem medizinischen Personal auftreten und die Beherrschung von Fremdsprachen von anderen erwarten, nicht aber sich selbst abverlangen, und damit ihre eigene Versorgung erschweren.
Diesbezüglich hat sich der betreffende Arzt, der im Übrigen das Recht hat, die Kommunikationssprache in seinem Verantwortungsbereich festzulegen, klar und eindeutig positioniert.

Lennart Pick antwortete am 01.08.202409:25 Uhr

Der Vorschlag mit den schriftlichen Unterlagen ist nicht alltagstauglich und im Zweifel mit dem gleichen Problem behaftet: Wenn ich Unterlagen herausgebe, deren Inhalt ich nicht verifizieren kann, ist das problematisch. Und die meisten Übersetzungen sind de facto untauglich. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich, weil den Beteiligten die Möglichkeit zur Qualitätssicherung fehlt. Im Übrigen halte ich auch das Vorgehen mit Dolmetscher zu agieren für falsch bzw. für noch fehleranfälliger insbesondere wenn ein Verwandter der Dolmetscher ist. Der stille Post-Effekt und mangelndes Verständnis ist Tür und Tor geöffnet, abgesehen davon, dass jede Vertraulichkeit des Gespräch verloren geht. Wie wollen Sie das Kind bei Verdacht auf Misshandlungen befragen, wenn der Neffe der Übersetzer ist? Das ist doch alles Quatsch.
Es führt kein Weg daran vorbei, dass die beiden Kommunikationspole eines Arztgesprächs die gleiche Sprache sprechen müssen. Insofern halte ich es auch für gut, dass es Ärzte gibt, die die Sprache des Patienten sprechen. Das ist die einzige relevante Option.

Dr. Alexander Türstig antwortete am 31.07.202423:49 Uhr

Hätten Sie geschwiegen, wären Sie ein Philosoph geblieben!

Dr. Diemut Fuchs antwortete am 31.07.202418:44 Uhr

Mit Verlaub - Ihr eigenes Verständnis der deutschen Sprache scheint offenbar auch ziemlich begrenzt, wenn SIe die eindeutige und nachvollziehbare Begründung der Praxis trotz klarer Formulierung nicht verstehen können (oder wollen?). Die absolut ehrenhafte Intention des Kollegen dermaßen bösartig zu fehlinterpretieren wirft ein bedenkliches Licht auf Ihre eigene Gesinnung und nicht auf die der Kollegen.

Dr. Alexander Türstig antwortete am 31.07.202418:32 Uhr

Si tacuisses, philosophus mansisses !

Lilith Engel 31.07.202418:22 Uhr

Wer angesichts dieses Schildes einen Rassismusvorwurf ausspricht, übertreibt total. Wie der Arzt selbst betont hat, ist es wichtig, sich für eine Anamnese, eine Diagnose und eine Behandlung verständigen zu können, und der Hinweis, dass deutsch gesprochen wird, besagt ja nur, dass das Personal andere Sprachen eben nicht beherrscht und das ist zur Berufsausübung oder zur Praxiseröffnung auch gar nicht vorgeschrieben.

Rassistisch und in dem Fall sogar sexistisch ist etwas ganz anderes:
Im Rahmen meines Studiums stand das erste Hausarztpraktikum an. Ich finde das Verfahren, dass man erst den Termin festlegt und dann aus den Praxen auswählt, die in dem Zeitraum ein Praktikum anbieten, total daneben. Anders herum wäre es besser, denn dann wäre mir das nicht passiert.
Also, nachdem ich den Termin gewählt hatte, war in meiner Nähe nur eine arabisch geführte Praxis gelistet. An sich fand ich das nicht schlimm, sonst wäre ich weiter weggefahren, aber obwohl die übergebenen Unterlagen ausdrücklich darauf hinwiesen, dass nur bereits im Famulaturreifekurs Erlerntes vertieft, aber nichts Neues gelernt werden soll, steckte man mich meistens ins Labor, wo ich nutzlos herumstand, weil ich noch kein Blut abnehmen konnte und durfte. Dass mit den meisten Patienten arabisch gesprochen wurde, was ich nunmal nicht verstehe, fand ich blöd und hätte es als Rassismus interpretieren können, kann ich aber hinnehmen, wenn die Patienten kein Deutsch können, obwohl sie das eigentlich mindestens rudimentär können sollten, wenn sie hier leben.
Das Schlimmste war aber, dass man mich als Frau aus dem Untersuchungsraum schickte, als ein Patient das Wort "Hoden" erwähnte. Als ich mich darüber beschwerte, wurde das Praktikum seitens der Praxis abgebrochen.
Wer keine weiblichen Studenten in der Praxis haben und vernünftig, d.h. geschlechtsneutral behandeln will, sollte erst gar kein Praktikum anbieten.

Dr. Alexander Türstig antwortete am 31.07.202418:42 Uhr

Erst bewerten, dann kommentieren ;-)
denn andersherum geht es hier nicht :-(

( man könnte ja sich selbst bewerten :-D )

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