Ärztetag
Priorisierung muss hinein ins SGB V!
Der Ärztetag lässt nicht locker: Dass Priorisierung mit Blick auf die Zukunft der medizinischen Versorgung eine gute Handlungsoption sein könnte, ist in der politischen Debatte noch nicht richtig angekommen.
BERLIN. Das waren noch Zeiten, als die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die aufkommende Debatte um Priorisierung im Gesundheitswesen als "menschenverachtend" bezeichnete. Fünf Jahre ist das her, reichlich langsam gewinnt der Begriff in der Gesundheitspolitik auch im positiven Sinn an Bedeutung.
"Priorisierung hat primär nichts mit Kosteneinsparung zu tun", stellte Bremens Kammerpräsidentin Dr. Heidrun Gitter in Düsseldorf noch einmal unmissverständlich klar.
Sachsens Kammerchef Professor Jan Schulze, in der BÄK für dieses Thema zuständig, zitierte den nach Schweden ausgewanderten deutschen Arzt Professor Jörg Carlsson, für den es bei der Priorisierung darum geht, "ein Mehr des Sinnvollen auf Kosten des weniger Sinnvollen zu erreichen - und dies möglichst zur Gewährleistung einer hinreichenden Verteilungsgerechtigkeit für alle Patienten, unabhängig vom Alter, sozialer Schicht oder Einkommen."
Begriff muss enttabuisiert werden
Der Ärztetag sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus, dass sich die Ärzteschaft weiter dem Thema Priorisierung widmet. Schulze wies darauf hin, dass sich die Bevölkerung nach Befragungen eine aktive Rolle von Ärztinnen und Ärzten bei Entscheidungen über GKV-Leistungen wünscht (84 Prozent) - und genau um diese Leistungen geht es auch bei der Priorisierung.
Die demografische Entwicklung und der medizinische Fortschritt führten angesichts begrenzter Ressourcen zu großen Herausforderungen, Versorgung auf dem heutigen Niveau aufrechtzuerhalten, so Schulze weiter. Priorisierung könnte helfen, dieses Dilemma aufzulösen.
Der Begriff muss "enttabuisiert" und im SGB V festgeschrieben werden, forderten die Delegierten. Welche medizinischen Leistungen sind vor-, welche sind nachrangig? Wenn es gelinge, in einer breiten Öffentlichkeit einen Konsens mit Blick auf diese Fragen zu finden, könnte das ein wirksames Gegengewicht gegen eine immer stärker werdende Ökonomisierung der Medizin sein.
BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomerys Vorgänger Professor Jörg-Dietrich Hoppe hatte bereits beim Ärztetag 2009 auf eine in Schweden gängige Priorisierungspraxis verwiesen. Dort stehen Patienten in Not und mit starken Schmerzen bei der Versorgung an erster Stelle. Danach erst folgen Menschen, die weniger leiden und bei denen medizinische Eingriffe planbar sind. (fuh)