Gastbeitrag

Reanimation oder nicht - wer entscheidet?

Ein Nephrologe und ein Notarzt geraten aneinander, weil sie beide im Sinne des Patienten handeln wollen. Das Beispiel aus Alzey zeigt, welche Hürden sich für Ärzte bei der Erfüllung des Patientenwillen auftun. Doch noch eines mehr zeigt der Fall: Zwei Sätze hätten genügt, um den Streit zu vermeiden, meint unser Gastautor.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Auch für Rettungssanitäter und Notarzt gilt: Der Wille des Patienten ist entscheidend.

Auch für Rettungssanitäter und Notarzt gilt: Der Wille des Patienten ist entscheidend.

© Otmar Smit / fotolia.com

Der Bericht der "Ärzte Zeitung" über den Streit zwischen einem Nephrologen und einem Notarzt hat unter anderem eine lebhafte Diskussion im Online-Leserforum ausgelöst. Die aus den Leserbriefen ersichtlichen Reaktionen von Ärzten, Rettungssanitätern und auch Juristen zeigen eine gefährliche Tendenz, die jeweilige "Behandlungshoheit" der beteiligten Ärzte zu verteidigen. Darum geht es in diesem Fall aber nicht.

Dem Nephrologen war der Wille des sterbenden Patienten bekannt, keine weiteren lebensverlängernden Maßnahmen und auch keine Reanimation zu erhalten. Den eintreffenden Rettungsassistenten und dem Notarzt war dieser Patientenwille nicht verlässlich bekannt, sie haben deshalb eine Reanimation (erfolglos) versucht. Die beiden Ärzte gerieten heftig aneinander, was in der Anzeige wegen Körperverletzung und Beleidigung durch den Notarzt gipfelte.

Das wichtige Gut ist hier aber das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, welches auch das Recht zur Ablehnung medizinischer Behandlungen und auch lebensverlängernder Maßnahmen einschließt. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) gerade erst mit seinem Urteil vom 25.06.2010 (Az.: 2 STR 454/09) in unmissverständlicher Weise betont.

Wenn ein lebensbedrohlich erkrankter Patient den Abbruch einer medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung des Lebens geeigneten Maßnahme verlangt, so haben alle Beteiligten dem Rechnung zu tragen. Gleiches gilt selbstverständlich auch für das Unterlassen einer Reanimation. Der Wille des Patienten ist entscheidend. Diese von vielen begrüßte Stärkung der Patientenrechte durch den BGH, die auch der Ärzteschaft im Ergebnis mehr Rechtssicherheit verschafft und ihre Handlungsspielräume erweitert (da es auf die frühe Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nicht mehr ankommt), führt aber auch zu weitergehenden Verpflichtungen: Der Patientenwille muss zwischen den behandelnden Ärzten kommuniziert werden.

Der Arzt, dem der Wunsch nach einem Behandlungsabbruch bekannt ist, kann und muss diesen respektieren und gegebenenfalls auch deutlich kommunizieren, da es ansonsten, wie im Fall des Nephrologen und Notarztes, zu Missverständnissen kommen kann und dem Patientenwillen dann nicht nachgekommen wird. Jeder handelt zwar für sich richtig, das Ergebnis ist dann aber dennoch ein falsches.

Dem Streit zwischen Nephrologen und Notarzt lag ein Gespräch zwischen dem Internisten und Rettungsassistenten zugrunde, in dem der Internist allein gefordert hatte, dass der Notarzt "ohne Blaulicht vorfahren und auch nicht versuchen solle, den Patienten zu reanimieren". Die Rettungsassistenten konnten nicht erkennen, ob es sich um den Wunsch des Patienten oder den Wunsch des Nephrologen handelte. Der Patientenwille wäre entscheidend, der Wille des vorbehandelnden Arztes für sich genommen irrelevant.

Die Assistenten und der Notarzt konnten also nicht von einem bestätigten Patientenwillen ausgehen, da die Angaben des Nephrologen nicht präzise genug waren. Der Nephrologe selbst wiederum sah wohl keinen Anlass, ausdrücklich zu betonen, dass es sich um den Patientenwillen handele, da ein Arzt nie auf die Idee kommen würde, in einer solchen Situation ohne konkrete Patientenäußerungen lebensrettende Maßnahmen zu untersagen.

Der Nephrologe wollte also dem tatsächlichen Patientenwillen Geltung verschaffen, der Notarzt dem mutmaßlichen. Der mutmaßliche Wille ist aber nur dann relevant, wenn der tatsächliche nicht feststellbar ist.

Das Selbstbestimmungsrecht ist Ausdruck der verfassungsrechtlich geschützten Menschenwürde. Neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, dessen Gewährleistung sich die Ärzteschaft täglich widmet, gebietet die Patientenwürde die Mitteilung der Patientenwünsche einerseits, das Erfragen etwaiger Äußerungen zum Behandlungsabbruch andererseits.

Man wird sich im Behandlungsalltag, gerade bei Notfällen, trotz der Pflicht zum schnellen Handeln hierauf einrichten müssen. Überwindbar sind die Hürden aber nicht: Der Nephrologe hätte den Sanitätern und dem Notarzt allein sagen müssen, dass der Patient ausdrücklich keine Reanimation wünschte. Die Sanitäter oder der Notarzt hätten fragen müssen, weshalb der Arzt von der Reanimation abriet und ob dies dem erklärten Patientenwunsch entspreche. Zwei Sätze hätten genügt.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

Lesen Sie dazu auch: Reanimation oder nicht? Notarzt und Internist liefern sich handfesten Streit vor Krankenwagen

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Kommentare
Uwe Schneider 18.08.201020:49 Uhr

Aktive und passive Sterbehilfe - Unterscheidung nach wie vor nicht unwichtig!

Der Artikel von Herrn Pflugmacher enthält begrüßenswerte Klarstellungen. In einem Punkt greift er allerdings etwas kurz: Die rechtliche Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe wurde nicht aufgegeben. Hier ging es aber eindeutig um passive Sterbehilfe, um das Unterlassen oder Einstellen einer Reanimation. Dies ist Ärzten, wenn der sterbende Patient dies wünscht, nicht nur erlaubt, sondern sie sind in diesem Fall sogar dazu verpflichtet.

Bei der aktiven Sterbehilfe, also der aktiven Hilfe zur gezielten Tötung, sieht dies für Ärzte in Deutschland - auch bei Sterbenden mit entsprechendem Wunsch - anders aus. Wenn der Patient das Bewusstsein verliert, der Arzt in der Nähe ist und damit Tatherrschaft hat, dann muss der Arzt, der zuvor aktiv untersützt hat (z.B. durch Beschaffung oder Verabreichung von Medikamenten), den Patienten grds. doch wieder retten. Wobei indirekte Sterbehilfe, also palliativmedizinische Maßnahmen, die Schmerzen lindern und dafür eine Erhöhung des Todesrisikos in Kauf nehmen, nicht als aktive Sterbehilfe gilt.

Mit dem jüngsten BGH-Urteil zur Beendigung künstlicher Ernährung wurde lediglich die Abgrenzung von aktiver und passiver Sterbehilfe präzisiert. Es kam nicht darauf an, dass das Durchschneiden des Schlaues zur enteralen Ernährung direkt über der Bauchdecke für sich genommen eine aktive Handlung ist. Bei einer Gesamtbetrachtung ging es um die Beendung der künstlichen Ernährung und damit lag der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Unterlassen (der Weiterführung dieser Ernährung) und nicht im aktiven Tun (Durchschneiden des Schlauches). Ein Unterlassen ist aber nur strafbar, wenn man entgegen einer Garantenpflicht handelt, welche eben (auch für den Arzt) bei sterbenden Patienten nicht besteht, wenn diese den Tod oder zumindest die Unterlassung entsprechender Behandlungsmaßnahmen wünschen.

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