Versorgungsgesetz
"Rechtlich außerordentlich bedenklich"
Bedenklich und wohl auch nicht zweckmäßig - so schätzen die Medizinrechtler Professor Alexander Ehlers und Dr. Christian Rybak aus juristischer Sicht das geplante Versorgungsstärkungsgesetz ein.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Professor Ehlers, Herr Dr. Rybak, das Versorgungsstärkungs-Gesetz schafft neue parlamentarische Regeln für die Vertreterversammlung der KVen und der KBV: durch Stimmgewichtung der Vertreter wird Parität zwischen Haus- und Fachärzten hergestellt. Was sagt der Jurist dazu?
Alexander Ehlers
Position: Partner der auf Medizin-, Pharma und Luftfahrtrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Ehlers, Ehlers & Partner (München und Berlin).
Ausbildung: Ehlers, Jahrgang 1955, studierte Medizin (1974-80) und Rechtswissenschaften (bis 1986), jeweils mit Promotion.
Karriere: Approbation als Arzt, bis 1999 in eigener Kassenarztpraxis, verschiedene berufspolitische Funktionen, Seit 1987 Rechtsanwalt, 2005 Fachanwalt für Medizinrecht, Lehraufträge, Honorarprofessor für Medizinrecht an der EBS Eltville.
Professor Alexander Ehlers: Hintergrund ist eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die eine Stärkung des Hausarztes vorsieht. Man glaubt, dass bei Abstimmungen, die die Haus- und Fachärzte gemeinsam betreffen, durch Parität ein Ausgleich der Interessen geschaffen werden kann.
Juristisch ist das außerordentlich problematisch, weil der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 38 Grundgesetz verletzt wird. Das dem zugrunde liegende Prinzip lautet: "One man, one vote."
Abweichungen davon, wie beispielsweise die Fünf-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen, sind nur mit zwingenden Gründen des Allgemeinwohls zulässig, die ich aber hier nicht sehe.
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht schon entschieden, dass der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit auch für Selbstverwaltungskörperschaften gilt, also auch für KVen.
Hier greift ja der Proporzgedanke: Müssten dann nicht auch Psychotherapeuten entsprechend ihrem Versorgungsanteil in der VV repräsentiert sein?
Ehlers: Eigentlich ja - aber dann würde politisch argumentiert werden, die Psychotherapeuten müssten ja nicht gefördert werden, und deshalb lägen keine Gründe des Allgemeinwohls vor. Wie man das dreht oder wendet: Eine Förderung der hausärztlichen Versorgung durch eine Parität ist nicht nur der falsche Weg, sondern rechtlich außerordentlich bedenklich.
Wie sehen Sie das: Haben VV-Mitglieder ein imperatives Mandat ihrer jeweiligen Fachgruppe - oder sind sie der gesamten Vertragsärzteschaft verpflichtet?
Dr. Christian Rybak: Niemand kann sich faktisch der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fachgruppe verschließen. Rechtlich gesehen geht es hier aber um die Repräsentanz der gesamten Vertragsärzteschaft.
Weil die VV gewisse Legislativrechte hat, müssen die VV-Mitglieder Vertreter der gesamten Vertragsärzteschaft sein und im rechtlichen Sinne eben nicht nur Vertreter ihrer eigenen Fachgruppe.
Auffällig an dem Gesetzentwurf ist die starke Fokussierung auf die hausärztliche Versorgung und die Förderung der Allgemeinmedizin. Haben die Fachärzte keine Probleme?
Ehlers: Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 54 ausdrücklich die Förderung des Hausarztes. Mit dem Ziel, eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung zu sichern. Dahinter steht eventuell auch der Gatekeeper-Gedanke. Faktisch haben aber auch Fachärzte Probleme, zum Beispiel in der Kinderheilkunde oder in der Dermatologie.
Nun muss man es so sehen: Der Koalitionsvertrag hat rechtlich keine bindende Wirkung. Es gab Koalitionen, die überhaupt keinen Koalitionsvertrag hatten, andere Koalitionen hatten einen Vertrag, haben ihn aber nicht umgesetzt.
Hier ist meine Vermutung, dass dieser Koalitionsvertrag nahezu eins zu eins umgesetzt werden wird, weil unser Bundesgesundheitsminister kein Interesse daran haben wird, am Pranger zu stehen, weil er die Koalition gefährden könnte durch nicht umgesetzte Vorhaben des Koalitionsvertrags.
Nach den Plänen der Bundesärztekammer sollen künftig größere Teile der fachärztlichen Weiterbildung in die ambulante Medizin verlagert werden. Da aber grundsätzlich in der vertragsärztlichen Versorgung Facharztstandard gilt, können die Leistungen von Ärzten in der Weiterbildung nicht honoriert werden. Ist der Gesetzgeber hier blind?
Ehlers: Dem muss man folgende Überlegung voranstellen: Wohin entwickelt sich künftig die fachärztliche Versorgung: mehr in den stationären oder in den ambulanten Sektor? Im Zusammenhang damit steht die Diskussion um die doppelte Facharztschiene.
Wenn man das mit anderen europäischen Ländern vergleicht, dann werden fachärztliche Leistungen im Ausland - von Ausnahmen abgesehen - im stationären Bereich erbracht.
Die Frage ist: Werden wir künftig weiterhin zwei Facharztebenen - ambulant und stationär haben - oder nicht? Das ist noch nicht endgültig entschieden.
Wenn es bei einer ambulanten fachärztlichen Versorgung bleibt, muss man den Facharztstandard ernst nehmen: die Verpflichtung, nach anerkanntem und gesichertem Stand der medizinischen Wissenschaft so zu behandeln, dass dieser Standard eingehalten wird.
Weiterhin ist die Behandlung so vorzunehmen, wie ein sorgfältiger Facharzt dies täte. Das ist auch bei noch nicht vorhandener Facharzt-Anerkennung Maßstab, so die Rechtsprechung.
Außerdem: Die Leistungen des vom Zulassungsausschuss genehmigten Weiterbildungsassistenten werden vom weiterbildenden Vertragsarzt als dessen eigene Leistungen über den EBM abgerechnet.
Aber wichtig ist: Die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten darf nicht zu einer Leistungsausdehnung der Praxis führen.
Genau das ist das Problem: Diese Beschränkung und die Existenz von Regelleistungsvolumina führen dazu, dass das Gehalt des Weiterbildungsassistenten durch Leistung nicht finanziert werden kann.
Ehlers: Das ist richtig. Und das macht es schwierig, Weiterbildungsassistenten in der ambulanten Praxis adäquat zu honorieren.
Große Empörung hat die Soll-Bestimmung zum Aufkauf von Praxissitzen ausgelöst. Was sagt der Jurist: Sinn hier Grundrechte, etwa auf Eigentum, tangiert?
Christian Rybak
Position: Partner der Rechtsanwaltssocietät Ehlers, Ehlers & Partner.
Ausbildung: Rybak, Jahrgang 1977, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth von 1997 bis 2002; Promotion und Zulassung als Rechtsanwalt.
Karriere: Stationen bei der Universität Bayreuth, beim Oberlandesgericht München, Bundespatentgericht, bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften; Tätigkeiten in Detroit und San Francisco; Lehrbeauftragter der Uni Witten/Herdecke und Dozent der School of Tax and Business Law der Uni Münster; seit 2007 Rechtsanwalt in der Kanzlei Ehlers, Ehlers & Partner.
Rybak: Natürlich sind hier Grundrechte tangiert, besonders Artikel 14 des Grundgesetzes, die Eigentumsgarantie. Auch das Recht auf freie Berufsausübung könnte gefährdet sein, wenn der Arzt weiterarbeiten möchte.
Denn die Möglichkeit, die Praxis und ihre ganze Einrichtung an einen Dritten zu übertragen, wird damit eingeschränkt. Damit ist seine Wahlfreiheit hinsichtlich eines Vertragspartners massiv eingeschränkt. Und auch das ist ein grundrechtsrelevanter Eingriff, der immer einer Rechtfertigung bedarf.
Diese Rechtfertigung könnte wiederum geliefert werden mit dem Argument der Überversorgung und der notwendigen Sicherung der finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das wäre ein legitimer Zweck. Aber das Mittel muss auch angemessen und erforderlich sein. Und ein solcher Eingriff muss mit einer adäquaten Entschädigung verbunden sein.
Manche sagen, die Zulassung als Vertragsarzt sei kein Eigentumsrecht, sondern nur ein zeitlich befristetes Recht zur Abrechnung von Leistungen auf Kosten der GKV...
Ehlers: Absolut richtig: Es ist eine öffentlich-rechtliche Bestallung. Aber mittelbar greift das sehr wohl in das Eigentumsrecht ein. Denn ohne die Zulassung als Vertragsarzt wird die gesamte Praxis entwertet.
Der Gesetzgeber lässt ja viele Ausnahmen zu: für Familienangehörige und Partner, die mindestens drei Jahre in der Praxis tätig sind. Müssen Ärzte die Praxisübergabe demnächst längerfristig planen?
Ehlers: Wenn diese Regelung rechtlich Bestand hat, eindeutig ja. Das ist unumgänglich, wenn die Praxis weitergeführt werden soll. In Betracht kommen ärztliche Kollegen ein Partner, die Kooperation mit einem Medizinischen Versorgungszentrum oder ein andersartiges Netzwerk.
KBV und Ärzteverbände kritisieren die voranschreitende Institutionalisierung. Wie sehen Sie das: Wird die Position des freiberuflich tätigen Arztes geschmälert, gar ausgehöhlt?
Rybak: Das Berufsbild des Arztes und die Art seiner Berufsausübung haben sich faktisch gewandelt. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, das Bild des Freiberuflers werde ausgehöhlt.
Aber er steht im Wettbewerb, vor allem im Qualitätswettbewerb mit Institutionen wie MVZ. Eine Chance für den freiberuflichen Vertragsarzt sind derartige Kooperationen. Nicht umsonst erleben Ärztenetze derzeit wieder eine Renaissance.
Das Interview führte Helmut Laschet