Marburg

Rhön-Angriffsplan lässt Vertragsärzte kalt

Der Rhön-Klinikkonzern will offenbar die komplette ambulante Medizin in Marburg übernehmen. Diese Pläne sorgen für Empörung - nicht aber bei den freien Vertragsärzten rund um die Uni-Stadt.

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Die private Uniklinik Marburg/Gießen: Anders als der hier abgebildete Standort in Gießen schreibt der Marburger Teil der Klinik offenbar rote Zahlen.

Die private Uniklinik Marburg/Gießen: Anders als der hier abgebildete Standort in Gießen schreibt der Marburger Teil der Klinik offenbar rote Zahlen.

© Wegst

MARBURG. Mit Gelassenheit hat die Ärztegenossenschaft "Prima", ein Zusammenschluss von 270 Ärzten im Raum Marburg, auf die Planspiele der Rhön-Kliniken reagiert. Diese sehen vor, am Standort Marburg ausgehend von dem Uniklinikum eine medizinische Komplettversorgung mit Rhön als Monopolisten aufzubauen.

"Wir sitzen am längeren Hebel und steuern die Patientenströme", sagt Prima-Vorsitzender Dr. Hartmut Hesse. Die Ideen seien "Allmachtsfantasien von Herrn Münch" - dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Rhön Klinikum AG.

Inhaltlich sei das eher ein "Brainstorming". Damit solle Druck auf die Mitarbeiter des Marburger Uniklinikums gemacht werden, das 2014 in die roten Zahlen gerutscht ist.

Überlegungen des Innovationsausschusses

Prima-Sprecher Dr. Ortwin Schuchhardt berichtet, dass es in den vergangenen Jahren eigentlich eine gute und kollegiale Zusammenarbeit sowie regelmäßige Treffen mit den Chefärzten im privatisierten Uniklinikum gegeben habe.

In einer Stellungnahme des Uniklinikums wird von Überlegungen des Innovationsausschusses gesprochen, zu dessen Aufgaben es gehöre, sich "ohne Denkverbote mit Perspektiven und Entwicklungen der Gesundheitsversorgung auseinanderzusetzen", so der Sprecher des Klinikums, Frank Steibli.

An den Universitätskliniken Gießen und Marburg lasse sich beobachten, dass die ambulante Versorgung zunehmend auf die Krankenhäuser verlagert werde, ohne dass diese optimal darauf vorbereitet seien.

"Dies führt nicht selten zu Überlastungssituationen, Doppel- und Dreifachuntersuchungen und häufig zu großer Frustration bei den Patienten", so Steibli.

SPD: "Kampfansage von München"

Der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) hat erst aus der Presse von den Rhön-Plänen erfahren. Er sieht darin zunächst nur "interne Überlegungen".

Dagegen wertete der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Dr. Thomas Spies, das Vorhaben als "Kampfansage von Eugen Münch". Münch habe diese Linie schon immer vertreten.

Auch an anderen Orten habe Rhön bereits versucht, die Kontrolle über die örtliche Medizin zu bekommen. Zudem habe Rhön in den vergangenen Jahren siebeneinhalb Kassenarztsitze in Marburg aufgekauft.

Das im Jahr 2006 privatisierte Universitätsklinikum Marburg war 2014 erstmals in die roten Zahlen geraten. (coo)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die Rhön-Attacke

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 24.04.201514:18 Uhr

"Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos" (Alexander Kluge, 1968)

Die "Allmachtsfantasien von Herrn Münch" (Prima-Vorsitzender Dr. Hartmut Hesse), dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Rhön Klinikum AG, sind Beispiele eines ebenso Medizin-bildungsfernen wie entfesselten Medizin-ökonomischen Dilettantismus. Sie zeigen das wahre Gesicht des Ex-Vorstandes und jetzigen Aufsichtsratsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG. Dieser hatte 2014 allein 43 Kliniken und Medizinische Versorgungszentren an den Konkurrenten Fresenius verkauft.

Das Geld aus diesem Verkauf sollte für ein neues Projekt eingesetzt werden, wie Münch vor kurzem auf dem Gesundheitskongress des Westens erläutert hatte: Für den Ausbau und die Konzentration diagnostischer Zentren in Bad Neustadt und in Marburg bzw. die regionale Monopolstellung im stationären u n d ambulanten Bereich. "Leistungsstarke Computertomographen sollten Münch zufolge künftig einen Ganzkörper-Scan mit sämtlichen verfügbaren Gesundheitsdaten liefern. In der Region werde dies den Hausarzt vor Ort überflüssig machen." (http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62524)

In einem Protokoll wurde die Rhön-Geschäftsführung damit beauftragt, ein Konzept für neue Strukturen der Ambulanz für den Standort Marburg (Universitätsklinikum Gießen/Marburg - UKGM - Eigentümer Rhön-Klinikum AG) zu erstellen und dieses bezeichnenderweise "unter Vermeidung von Konsensstrategien mit den ewig Gestrigen umzusetzen", wie es wörtlich hieß.

Sollen damit alle hausärztlichen Bemühungen zum Erhalt einer wohnortnahen medizinischen, bio-psycho-sozialen Versorgungsrealität ad absurdum geführt und durch ein "Ganzkörperscan" ersetzt werden? Dabei geht es m. E. nicht mehr um eine humane Medizin, sondern um profitorientierte und -optimierte Kapitalverwertungsinteressen.

Und das, obwohl bekanntermaßen über 90 Prozent aller Beratungsanlässe innerhalb der ambulanten Haus- und Facharzt-Praxis mit den einfachen Mitteln und Methoden von Anamnese, Untersuchung, Diagnose, Beratung bzw. Therapie abschließend behandelt werden können. Der Leitsatz, dass praktisch alle übertragbaren und nicht-übertragbaren Krankheiten ("communicable and non-communicable diseases") in ihren frühen symptomatischen Phasen p r ä k l i s c h durch erweiterte radiologische Diagnoseverfahren überhaupt nicht detektiert werden können, sondern eher der interaktiven Wahrnehmung, Inspektion, Palpation, Auskultation bedürfen, ist ganz offensichtlich bei den Spitzen der Rhön Klinikum AG noch gar nicht angekommen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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