Bundestagswahl 2005

Rückblick: Gesundheitsprämie versus Bürgerversicherung

In die vorgezogene Bundestagswahl 2005 zogen Union und SPD mit unvereinbar erscheinenden Reformkonzepten für die Krankenversicherung: die Union präferierte die „solidarische Gesundheitsprämie“, SPD und Grüne die Bürgerversicherung für alle.

Veröffentlicht:
2005 verlohr die SPD bei der Bundestagwahl gegen die CDU – und mit Ihr die Bürgerversicherung.

2005 verlohr die SPD bei der Bundestagwahl gegen die CDU – und mit Ihr die Bürgerversicherung.

© Ulrich Baumgarten / picture alliance

2004 hatte die CDU noch Mut zu anspruchsvollen innenpolitischen Reformen. Ein zentrales Vorhaben war eine große Reform der Einkommensteuer, die künftig von den meisten Bürgern auf dem Bierdeckel deklarierbar sein sollte – mit einem Spitzensteuersatz von 36 Prozent, nachdem bereits die rot-grüne Koalition die Spitzensteuersätze schrittweise von 51 auf 42 Prozent gesenkt hatte.

Ein weiteres Projekt war die solidarische Gesundheitsprämie, die die vom Lohn abhängigen prozentualen GKV-Beiträge ablösen sollte. Das Ziel war, Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abzukoppeln. Konzepte dazu hatten unter anderem schon die Wirtschaftsweisen unter ihrem damaligen Vorsitzenden Bert Rürup erarbeitet: ein Pauschalenmodell, in dem die Umverteilungswirkung prozentualer GKV-Beitragssätze in das Steuersystem verlagert werden sollte – und mit dem auch Privatversicherte mit ihrer Einkommensteuer einen Solidarbeitrag geleistet hätten.

CDU verabschiedet modifiziertes Prämienmodell

Die Union verabschiedete auf dem Leipziger Reformparteitag 2004 ein modifiziertes Prämienmodell: das sah für alle erwachsenen Versicherten eine persönliche Prämie von maximal 109 Euro vor, alternativ bis zu sieben Prozent vom beitragspflichtigen Einkommen. Kinder sollten beitragsfrei bleiben. Bei Ehepartnern hätte die gemeinsame Prämie 218 Euro betragen, maximal sieben Prozent des gemeinsamen Einkommens.

Lesen sie auch

Die Arbeitgeberbeiträge sollten gesetzlich auf 6,5 Prozent des beitragspflichtigen Lohns begrenzt werden – insofern blieb der Versicherungsanteil der Arbeitgeber Lohnbestandteil. Aufgrund der Deckelung sollten aber die Arbeitskosten von der besonderen Dynamik der Gesundheitsausgaben abgekoppelt werden.

Aus den prozentualen Arbeitgeberbeiträgen sollte der Solidarausgleich zugunsten der schlechter verdienenden Versicherten bedient werden. Insgesamt – persönliche Prämie eines jeden Erwachsenen plus Arbeitgeberbeitrag – sollte die Prämie 169 Euro monatlich betragen, was genau den durchschnittlichen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben entsprach.

Die gesundheitliche Absicherung der Kinder – sowohl in der GKV wie in der PKV – sollte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuern finanziert werden.

Heftigster Gegner: Horst Seehofer

Innerhalb der Union war dieses Konzept keineswegs unumstritten. Heftigster Gegner des Prämienmodells war der ehemalige Gesundheitsminister Horst Seehofer, der – als er sich mit seiner Fundamentalkritik an jedweden Prämienmodellen nicht durchsetzen konnte – als Unions-Fraktionsvize zurücktrat.

Populär wurde die Prämie – von ihren Gegnern durchweg als „Kopfpauschale“ (was fast wie „Kopfgeld“ klang) bezeichnet – nie. SPD und Grüne setzten dem Pauschalenmodell die gerechter erscheinende Bürgerversicherung für alle entgegen – und damit die Vision, jegliche Klassenmedizin zu überwinden. Dass der Weg der Transformation und Abwicklung der privaten Krankenversicherung Jahrzehnte erfordern und steinig sein würde, wurde dabei gern ausgeblendet.

Am Wahlabend des 18. September 2005 waren die Gesichter in beiden Volksparteien lang. Bei der SPD, die 4,3 Prozentpunkte einbüßte und nur noch auf 34,2 Prozent kam, ebenso wie bei der Union, die mit 35,2 Prozent zwar knapp stärkste Kraft im Parlament wurde, aber 3,3 Prozent verloren hatte. Die Deutschen, so schien es, waren der Reformen überdrüssig. Aber das Wahlergebnis ließ keine andere Möglichkeit als eine Große Koalition, der ersten seit 1966, diesmal unter Angela Merkel. (HL)

Das Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG) der GroKo

  • Umfassende Reform der Finanzierung und Organisation der GKV: Gesundheitsfonds und Morbi-RSA
  • Paradigmenwechsel von der einnahmen- zur morbiditätsorientierten Ausgabenpolitik, Euro-Gebührenordnung für Ärzte.
  • Soziales Korsett und mehr Wettbewerb für die PKV.
  • Mehr Leistungen: Vater-/Mutter-Kind-Kuren, Impfschutz entsprechend STIKO-Empfehlung, spezialisierte ambulante Palliativversorgung, ambulante Reha auch zu Hause und in Pflegeeinrichtungen.
Lesen sie auch

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Schwarz-rote Sondierungen beginnen

Nachfolge im Gesundheitsministerium: Wer wird‘s?

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.09.202115:40 Uhr

Bürgerversicherung vs. Kopfpauschale 

Mit einem intellektuell abgehobenen Streit um Bürgerversicherung vs. Kopfpauschale, der die FDP damals Kopf und Kragen gekostet hatte, um Einheits-Krankenkassen oder Einheitsmedizin mit 3 Pillen à la Lauterbach kann die SPD in ihrem Wahlkampf nicht punkten.

Strukturgrenzen aufheben? 

Was dann auch noch die Hamburger Gesundheitssenatorin Frau Prüfer-Storcks damals mit der Aufhebung der Grenzen zwischen den ambulanten und stationären Sek­toren erreichen wollte, blieb unerfindlich: Die Grenzen zwischen den Sektoren komplett aufheben zu wollen, hieße Medizin- und Versorgungs-bildungsfern den REHA-Patienten auf der Intensivstation zu therapieren, den akuten Herzinfarkt ambulant auf der grünen Wiese per PTCA zu katheterisieren und die akute Appendizitis durch den Hausarzt operieren zu lassen. 

Abgestufte Versorgungsebenen 
Wir brauchen dagegen ein auch für Laien verständliches, strukturiertes Konzept mit abgestuften Versorgungsebenen: 
1. Strukturen mit präformiertem medizinischen Laienwissen
2. Lotsenfunktion/Koordination durch Hausärzte als "Primärarzt" 
3. allgemeinärztlich-internistisch-pädiatrische Grundversorgung 
4. fachärztliche, spezialmedizinische, ambulante Fachversorgung 
5. ambulante bis stationäre Stufendiagnostik 
6. Therapie/Versorgung Beschwerden-, Situations- und Krankheits-adaptiert vom Kreiskrankenhaus bis zur Uniklinik. 

Mantra der Gesundheit?
Und wir müssen weg von dem ewigen  Mantra der Gesundheit und dem Versuch, alle bio-psycho-sozialen Probleme gesunden zu wollen. Endlich Krankheit,  Behinderung, Siechtum und körperliche bzw. psychische Beschädigungen als integral-vitale, schwierige und zugleich bereichernde Lebensäußerungen zu begreifen und unsere Patientinnen und Patienten dort abzuholen, wo sie gerade stehen: Bei Schwangerschaft, Geburt, Kindheit, Jugend, Adoleszenz, Erwachsensein, Alterung, Leben, Vergänglichkeit und Tod! 

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Erklärung für erhöhtes Risiko?

Alzheimer: Frauen akkumulieren Tau-Protein wohl schneller als Männer

Lesetipps
Schematische Darstellung einer Frau, die traurig auf dem Boden sitzt. Über ihr hängt ein riesiges Coronavirus.

© pilli / stock.adobe.com

Warnhinweise erkennen!

Long-COVID: So unterstützen Sie Ihre Patienten

Mann misst Blutdruck und wird über Videocall angeleitet

© Jochen Tack / picture alliance

Praxismanagement Telemedizin

Zum Monatswechsel neue Vorgaben an Videosprechstunden!

Viele Long-COVID-Patienten plagen über Fatigue. Welche Ärztinnen und Ärzte ihnen helfen könnten, ist häufig nicht klar.

© fran_kie / stock.adobe.com

Spezialambulanzen

Long-COVID: Wie steht es um die Versorgung der Betroffenen?