Gleichstellung behinderter Menschen

„Runder Tisch Triage“: Vieraugenprinzip allein reicht nicht

Juristen und Betroffene fordern für den Fall von Triage-Entscheidungen die Auswahl der zu behandelnden Patienten über Losverfahren. Andere Kriterien seien anfällig für Diskriminierung.

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Welche Verfahren sollen bei Triage-Entscheidungen zum Zuge kommen? Der „Runde Tisch Triage“ macht dazu Vorschläge.

Welche Verfahren sollen bei Triage-Entscheidungen zum Zuge kommen? Der „Runde Tisch Triage“ macht dazu Vorschläge.

© Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE /

Berlin. Einen stärkeren rechtlichen Schutz von behinderten Menschen bei medizinischen Grenzentscheidungen fordert der „Runde Tisch Triage“. Ziel der vom Bundesverfassungsgericht geforderten gesetzlichen Regelungen zur Triage müsse es sein, zu vermeiden, dass Menschen mit Behinderung durch eine unzureichende oder diskriminierende gesetzliche Regelung bei Triage-Entscheidungen benachteiligt würden, erklärte der Runde Tisch am Donnerstag anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung behinderter Menschen in Berlin.

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Hintergrund ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021, wonach der Gesetzgeber gesetzliche Vorgaben machen muss, um Benachteiligungen behinderter Menschen bei der Zuweisung intensivmedizinischer Maßnahmen zu verhindern. „

Konkret fordert der Runde Tisch etwa, dass bei Triage-Entscheidungen über das Vieraugenprinzip hinaus auch Ärzte des Vertrauens der Betroffenen sowie weitere sachverständige Personen einbezogen werden sollten.

Auswahl der Patienten über Losverfahren

Die Auswahl der zu behandelnden Patienten sollte über Losverfahren getroffen werden; ein solches Randomisierungsverfahren garantiere nicht nur allen Patienten ein gleiches Recht auf Zugang zur Behandlung, sondern biete auch den Medizinern ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit.

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Eine Auswahl über den Vergleich von Überlebenswahrscheinlichkeiten bedeute immer eine Diskriminierung, so das Gremium. Darüber hinaus müsse es umfangreiche Dokumentations- und Berichtspflichten geben. Prüf- und Kontrollmechanismen müssten verpflichtend sein, und auch für Angehörige müsse es möglich sein, Entscheidungen überprüfen zu lassen.

Der „Runde Tisch Triage“ (www.runder-tisch-triage.de) hat sich vor zwei Jahren gegründet und ist ein Zusammenschluss der LIGA Selbstvertretung, der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) sowie des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ). (KNA)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 06.05.202210:04 Uhr

Ein wie auch immer geartetes "Losverfahren" ausgerechnet bei der Triage von behinderten/nichtbehinderten Menschen anzuregen, ist die absurdeste/unlogischste/undemokratischste/rechtlich angreifbarste Verfahrens-"Lösung"!

Willkür/Ungerechtigkeit werden an der Lostrommel Tür und Tor geöffnet, weil Fakten/abwägendes Argumentieren/klinische Erfolgsaussichten nicht mehr zählen.

RichterInnen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) haben in ihrer Triage-Entscheidung weitgehend medizin-/versorgungs-bildungsfern/in Unkenntnis von Erfahrungen/intensivmedizinischer Hintergründe/Vorgehensweisen/4- und mehr Augenprinzipien/Entscheidungshorizonten agiert. Motivations-/Gestaltungslagen von Personal/anvertrauten PatientInnen auf ICUs können speziell bei wesentlichen Behinderungen allenfalls vorwissenschaflich-unprofessionell/naiv-empiristisch vermutet/hochgeschätzt/nicht juristisch zweifelsfrei verifiziert/falsifiziert werden.

Niemand dürfte/sollte insbesondere bei schwerster Behinderung im Rahmen einer Triage unangemessen benachteiligt oder extra bevorzugt werden. „Kriterium der klinischen Erfolgsaussichten“ (DIVI) bedeutet, dass konkrete Behinderungen durchaus mit schlechteren Genesungsaussichten assoziiert sein können. Überlebenswahrscheinlichkeit als Triage-Kriterium müsse sich „eindeutig nur auf die aktuelle Krankheit“ beziehen, verleugnet den Gesamtzusammenhang. DIVI-Empfehlungen dürften nicht „zum Einfallstor für eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen werden“, konfabuliert das BVerfG, weil eine Priorisierung aufgrund von Grunderkrankungen/Behinderungen nicht zulässig sei, und steigert sich in die Behauptung, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung sei verbunden mit einer „unbewusste[n] Stereotypisierung“.

Die jetzige "Losnummer" zeigt die Desorientierung der verschiedenen Lobbygruppen und fadenscheinigen Argumente: Sollen etwa Bundes- und Landtagswahlen auch nur noch per Losentscheid entschieden werden, um niemand zu diskriminieren?

Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Diemut Fuchs antwortete am 06.05.202212:15 Uhr

Sehr geehrter Herr Kollege Schätzler,
nicht immer, aber schätzungsweise in 95% bin ich völlig mit Ihren Kommentaren einverstanden und genieße oftmals auch Ihre prägnante und ausdrucksstarke Diktion. Auch diesmal bringen Sie wieder eine der zunehmend realitätsfernen Eingebungen fachfremder Lobby-, Juristen- und Politikergruppen in bester Satirikermanier auf den Punkt.
Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mir sehr häufig einen eigenen Kommentar, der mir auf der Seele brennt, ersparen!
MfG
Dr. Diemut Fuchs

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