Schmerzmediziner schlagen Alarm

Schmerzhafte Versorgungslücken

Immer mehr Patienten finden auch in Städten keine Schmerztherapeuten mehr, beklagen Schmerzmediziner – und schlagen Alarm: „Von einer flächendeckenden Versorgung sind wir Lichtjahre entfernt.“

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
1200 ambulant tätige Schmerzmediziner versorgen nach Angaben der DGS die rund 3,4 Millionen Menschen mit schwerstgradig chronifizierten Schmerzen. Notwendig wären laut Fachgesellschaft rund 10.000.

1200 ambulant tätige Schmerzmediziner versorgen nach Angaben der DGS die rund 3,4 Millionen Menschen mit schwerstgradig chronifizierten Schmerzen. Notwendig wären laut Fachgesellschaft rund 10.000.

© Frank Rumpenhorst / dpa

Berlin. Die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland weist eklatante Lücken auf. Rund die Hälfte der im PraxisRegister Schmerz erfassten mehr als 263.000 Patienten benötige für die Anreise zum nächsten Schmerzmediziner länger als 30 Minuten.

„Von einer flächendeckenden Versorgung sind wir Lichtjahre entfernt“, sagte PD Dr. Michael. A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), am Mittwoch in Berlin bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz der Schmerzmediziner. Die 30-Minutenfrist gilt in der Bedarfsplanung als zumutbare Entfernung für die allgemeinfachärztliche Versorgung.

DGS malt düsteres Bild

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) hat daher ihre Forderung nach einer „rechtssicheren Bedarfsplanung“ für die Schmerzmediziner erneuert. DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann malte ein düsteres Bild der demografischen Entwicklung in der Ärzteschaft: „Wenn die jetzige Generation an Schmerzmedizinern aufhört, wird die Versorgung von Schmerzpatienten nahezu zusammenbrechen“.

Es sei ein „Skandal“, dass das Gesundheitswesen nicht in der Lage sei, eine Nachbesetzung von schmerztherapeutischen Vertragsarztsitzen zu organisieren. Weil es weder eine geregelte Ausbildung noch eine Facharzt-Qualifikation für Schmerzmediziner gebe, werde das Fachgebiet bei der Bedarfsplanung nicht berücksichtigt. In Großstädten wie Lübeck und Oberhausen gebe es keine schmerzmedizinischen Ansprechpartner mehr.

In vielen der 188 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern fänden die Patienten keine schmerzmedizinischen Ansprechpartner mehr. Ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragtes Gutachten zur Bedarfsplanung in der Schmerzmedizin durch die Ludwig-Maximilian-Universität München habe 2019 einen morbiditätsbezogenen Versorgungsbedarf nachgewiesen.

Zudem hätten die Gutachter empfohlen, die Schmerzmedizin zum fachärztlichen Versorgungsbereich aufzuwerten und in die Bedarfsplanung aufzunehmen. Die Empfehlungen setze der GBA allerdings nicht um.

23 Millionen Betroffene laut DGS

Derzeit versorgten 1200 ambulant tätige Schmerzmediziner die rund 3,4 Millionen Menschen mit schwerstgradig chronifizierten Schmerzen. Notwendig wären rund 10.000, sagte Horlemann.

Seine Alternative: Hausärzte sollten schmerzmedizinische Schwerpunkte einrichten, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Dass der Schmerz im für dieses Jahr erwarteten neuen Klassifizierungssystem ICD 11 als eigenständige Erkrankung akzeptiert werde, könne der Versorgung an dieser Stelle etwas Luft verschaffen.

Insgesamt geht die DGS von 23 Millionen Menschen in Deutschland mit chronischen Schmerzleiden aus. Ihre Unterversorgung verursache volkswirtschaftliche Schäden in einer Höhe, dass man damit den Haushalt von Griechenland retten könne, griff Horlemann zu einem drastischen Bild.

Das PraxisRegister Schmerz liefert derweil immer aussagekräftigere Daten und sei geeignet, Über-, Unter-und Fehlversorgung zu erkennen, berichteten die Schmerzmediziner. Zu den vorhandenen 263.000 registrierten Behandlungsfällen kämen jeden Tag 160 bis 250 dazu. Damit sei es das weltweit größte industrieunabhängige Schmerzregister.

Weltweit größtes unabhängiges Register

„Wir können nun endlich nicht nur versorgungsrelevante epidemiologische Fragestellungen beantworten und Schlussfolgerungen zu notwendigen Veränderungen in den Versorgungsstrukturen ziehen, sondern mit diesen Registerdaten auch dabei helfen, die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der nicht selten alltagsfernen wissenschaftlichen Forschung und dem Versorgungsalltag schließen“, sagte Überall.

Knapp ein Viertel der bislang erfassten Patienten sei demnach älter als 70 Jahre. Sie litten im Durchschnitt an 3,4 Begleiterkrankungen und hätten bis zur Aufnahme ins Register 4,7 vorbehandelnde Ärzte durchlaufen, berichtete Michael Überall.

Zudem nehmen die Patienten laut eigenen Aussagen im Schnitt 5,1 unterschiedliche Schmerzmittel, vor allem nichtopioidhaltige Analgetika. Die Verordnung von Opioiden der WHO-Stufe 3 ist rund 94 000-Mal dokumentiert.

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