Bundestagwahlkampf
Scholz fordert „ordentliche Bezahlung“ in der Pflege
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz verlangt bessere Arbeitsbedingungen und ordentliche Gehälter in der Pflege. Bei der Gegenfinanzierung setzen er und die Genossen auf ein alt bekanntes Modell.
Veröffentlicht:Berlin. Die SPD will den Pflegepersonalmangel in Krankenhäusern und Altenheimen zu einem Kernthema im Bundestagswahlkampf machen.
Um mehr junge Menschen in den Pflegeberuf zu ziehen und die dort Beschäftigen zu halten, brauche es attraktivere Arbeitsbedingungen und eine „ordentliche Bezahlung“, sagte Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei einer digitalen Wahlkampfveranstaltung am Samstagabend. „Sonst wird das nichts werden, und es wird enden mit einem Pflegenotstand, den wir mit immer restriktiveren Arbeitslösungen verwalten“, warnte Scholz.
Plädoyer für Bürgerversicherung
Bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne gebe es freilich „nicht umsonst“, so Scholz. „Diese Wahrheit muss ausgesprochen werden.“
Die Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, warb in diesem Zusammenhang für die Pflege-Bürgerversicherung. In diese zahlten alle Versicherten ein. In der privaten Krankenversicherung (PKV) lägen aktuell „fast 40 Milliarden Euro auf der hohen Kante“.
Der Überschuss bei den Privaten sei darauf zurückzuführen, dass dort Besserverdienende hohe Beiträge einzahlten. Die Leistungen, die die Privatversicherten beanspruchten, seien aber „viel, viel niedriger“ als dies bei Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung der Fall sei. „Würden wir beide Versicherungszweige zusammenfügen, hätten wir auf Anhieb jährlich über zwei Milliarden Euro mehr zur Verfügung“, sagte Baehrens.
Milliarden auf der hohen Kante
Lasse sich eine Bürgerversicherung in einer künftigen Koalition auf Bundesebene nicht umsetzen, sei „mindestens“ ein „Risikoausgleich“ zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung herbeizuführen, so Baehrens. Darüber hinaus könne der Bund einen jährlichen Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung beisteuern, um steigende Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu deckeln und „das eine oder andere Zukunftsprojekt auch für die Pflege anschieben zu können“.
Auch Scholz betonte, „Solidarität“ sei die einzige Möglichkeit, ein „gutes Gesundheitssystem“ und „ordentliche Pflege“ zu finanzieren. Wenn Menschen mit hohen Einkommen ihren „fairen Beitrag“ zur Finanzierung leisteten, „dann fällt es auch leichter, diese Aufgaben zu gewährleisten, die da sind“.
Altenpflege: Ein Beruf, der „super viel Spaß“ macht
Zur Situation in der Altenpflege merkte die SPD-Bundestagsabgeordnete und Altenpflegerin Claudia Moll an, der Beruf mache „super viel Spaß“. Jungen Menschen könne sie daher nur raten, sich den Beruf genauer anzuschauen und ein Pflegepraktikum zu absolvieren. Viele meinten, es gehe dort nur um „Körperflüssigkeiten“. Nein, „das ist es nicht“.
Gleichwohl müssten die Rahmenbedingungen besser werden, forderte Moll. Die Betreuungsschlüssel seien neu zu justieren. Es brauche einen ausreichenden Personalmix aus Fach- und Assistenzkräften, die sich um die Heimbewohner kümmerten.
Der Gesundheits- und Krankenpfleger Alexander Jorde berichtete, die Situation auf den Intensivstationen der Krankenhäuser sei wegen der steigendenden Zahl an COVID-19-Patienten „sehr belastend“. Nicht alle Intensivbetten könnten genutzt werden, weil schlichtweg Personal fehle. Viele Kollegen erzählten ihm, dass sie aussteigen wollten. Die Verweildauer in der Krankenpflege liege im Schnitt bei sieben, acht Jahren. „Ich finde, das ist ein sehr krasser Wert.“
Ruhezeiten verbindlich regeln
Jorde hatte 2017 für Schlagzeilen gesorgt, als er in einer TV-Sendung Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kurz vor der Bundestagswahl auf die Missstände in der Pflege hinwies und politisches Handeln anmahnte. Auch am Samstagabend sprach Jorde Klartext. Die Ausbildungszahlen in der Pflege stiegen zwar. Entscheidend sei aber, die Menschen im Beruf zu halten. Bei besseren Arbeitsbedingungen würden viele Pflegekräfte zurückkehren. Dazu brauche es jedoch konkrete Schritte.
Er wünsche sich, dass auch in der Pflege die 35-Stunden-Woche Einzug halte, sagte Jorde. Damit ginge auch eine Reallohn-Erhöhung einher, denn viele Pflegekräfte arbeiteten derzeit mehr, als ihnen an Gehalt zufließe. Zudem seien Ruhezeiten gesetzlich zu regeln. Ein weiteres Thema sei die bedarfsgerechte Personalbemessung in Krankenhäusern. Es brauche Untergrenzen auf allen Stationen. „Das haben wir leider noch nicht“, so Jorde.