Schweinegrippe: Wie Ärzte-Funktionäre Bürger verunsichern
Impfen oder Nicht-Impfen? Über die Verunsicherung der Patienten können Ärzte ein Lied singen. Zur Verwirrung in der Meinungsbildung über die Medien trugen auch die Ärztefunktionäre maßgeblich bei.
Veröffentlicht:Täglich grüßt die Schlagzeile auf der größten deutschen Boulevardzeitung: "So qualvoll starb die 15-Jährige" oder "Experte erwartet 35 000 Grippetote" - zur verkaufsträchtigen Überschrift kommen im Innenteil der Zeitung Tipps "der deutschen Chefärzte". Erstaunlicherweise sagte nur einer von ihnen Mitte Oktober "nein" zur Impfung.
Doch trotz der auflagenstarken Werbung für die Impfung haben es Befürworter schwer gegen ihre "Gegner". Zu den Skeptikern gehört Dr. Günther Jonitz, Präsident der Landesärztekammer Berlin. In Boulevardzeitungen und auch in Fernsehsendungen sprach er sich gegen die Impfung aus. Auch auf der Hauptversammlung des Marburger Bundes vor zwei Wochen setzte er sich für ein klares Statement gegen die Impfung ein – letztendlich konnte sich der Verband aber nicht zu einer gemeinsamen Erklärung durchringen. Der Marburger Bund als größter Ärzteverband Europas hat als keine offizielle Meinung zur Impfung.
Zur Verunsicherung tragen aber auch Wissenschaftler bei, so etwa Professor Michael Kochen, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin in einem Zeitungsinterview mit der "Welt" Anfang November: Er lasse sich nicht impfen, obwohl er eigentlich ein Impfbefürworter sei.
Auch der Vizepräsident der Bundesärztekammer (BÄK), der Radiologe Dr. Frank Ulrich Montgomery, sagte im Oktober, er halte die Impfung "für nicht absolut notwendig".
Wenig später kritisiert der Vorsitzende des Berufsverbandes der Internisten, Dr. Wolfgang Wesiack, die Ärzte als schlechte Vorbilder: "Wenn sich Ärzte nicht impfen lassen, kann man nicht erwarten, dass die Bevölkerung sich mehrheitlich impfen lässt", so Wesiack.
Vor wenigen Tagen rief schließlich er Präsident der BÄK, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, die Ärzte dazu auf, sich impfen zu lassen. "Ärzte tragen besondere Verantwortung dafür, dass sich der Virus nicht ungebremst ausbreitet." Zwischenzeitlich änderte Montgomery seine Meinung und befürwortete aus "bevölkerungsmedizinischen Gründen" die Impfung.
Eine zusätzliche Verunsicherung entstand Mitte Oktober: Da wurde bekannt, dass die Bundeswehr und Bundesministerien den Impfstoff Celvapan beim US-Hersteller Baxter bestellt hatten. Dass diese Bestellung aus alten Vorverträgen stammte, dafür interessierte sich niemand. Verständlich, war doch bereits vorher über die mögliche negative Wirkung der Adjuvantien in dem für die Bevölkerung bestellten Impfstoff Pandemrix diskutiert worden. Dazu sagte Montgomery in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau": "Der Massenimpfstoff ist vor allem nicht so umfassend getestet wie die traditionellen Mittel ohne Wirkverstärker." Im gleichen Interview fügte hinzu, dass die Politik mit der Bestellung eines anderen Impfstoffes "für gewisse Kreise" ein Chaos angerichtet habe. "Ich bin über das Kommunikationsverhalten entsetzt", sagte Montgomery der "Berliner Zeitung".
Er hätte aber auch sich selbst meinen können: Wenige Tage schlug er vor, den Impfstoff für Soldaten besser an Kinder und Schwangere zu geben. Heftige Reaktionen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte waren die Folge: "Dieses Serum wurde bisher weder an Kindern noch an Schwangeren getestet", so Professor Fred Zepp, Direktor der Uni-Kinder-Klinik Mainz.
Fazit: Hohe Ärztefunktionäre haben - ohne Fachleute zu sein - erheblich zur Verunsicherung von Kollegen und Patienten beigetragen. Eine professionelle Abstimmung mit den Fachgremien der Bundesärztekammer und den Wissenschaftlern des Robert-Koch-Instituts oder der Impfkommission hat offenbar nicht stattgefunden.
Die Meinung der Fachinstitutionen zur Schweinegrippe-Impfung
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist das Fachgremium der Bundesärztekammer für alle Fragen der Arzneimitteltherapie und -sicherheit. Im September verlangte die Kommission, dass Schwangere und Kinder nach der Impfung überwacht werden müssen, da Kenntnisse über die Impfung noch sehr eingeschränkt seien.
Die Ständige Impfkommission (STIKO), angesiedelt am RKI, empfiehlt die Impfung vordringlich für Risikogruppen, da diese erheblich schwerere Verläufe der Grippe zeigen. Auch sollen Mitarbeiter im Gesundheitswesen verstärkt geimpft werden. Das 17-köpfige Gremium sieht keine starken Nebenwirkungen beim Impfstoff Pandemrix.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das zum Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums gehört, sagt: "Alle bisher vorliegenden Daten aus den verschiedenen Staaten zeigen, dass das pandemische H1N1-Virus, bei schwangeren Frauen zu schweren Erkrankungen, Komplikationen und auch auffällig vielen Todesfällen führt."
Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht die Schutzimpfung als "wirksamste präventive Maßnahme". Jeder Bürger sollte die Möglichkeit einer Impfung gegen H1N1 haben. Geimpft werden zunächst Risikogruppen wie chronisch Kranke ab sechs Jahren, Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Polizei, Feuerwehr und Schwangere.