Arzneitests an Demenzkranken
Showdown im Bundestag
Der Streit über klinische Tests an nicht-einwillungsfähigen Probanden bekommt Raum im Parlament: Anhörung und namentliche Abstimmungen inklusive.
Veröffentlicht:BERLIN. Im Streit um gruppennützige Arzneimitteltests an nicht-einwilligungsfähigen Patienten wird der Gesundheitsausschuss des Bundestags am Mittwoch den Fahrplan festlegen: Für den 19. Oktober soll es zunächst eine weitere Anhörung angesetzt werden.
Die zweite und dritte Lesung des Gesetzes, die im Regelfall sonst unmittelbar nacheinander erfolgen, ist auf den 9. und 11. November terminiert. Dann werden die 630 Abgeordneten ohne Fraktionsdisziplin über mindestens drei zumeist interfraktionelle Entwürfe abstimmen können.
Angesichts des Streits verblasst, dass mit dem "Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften" eigentlich eine EU-Verordnung umgesetzt werden soll. 99 Prozent dieser Novelle sind in der Koalition unstrittig. Am Mittwoch werden Union und SPD einen Haken unter 17 Änderungsanträge machen, die zuvor konsentiert wurden.
Bisher in Deutschland verboten
Es bleibt der Dissens über klinische Studien an Patienten, die beispielsweise wegen einer Demenzerkrankung nicht in die Teilnahme einwilligen können und die davon auch keinen unmittelbaren Nutzen haben. Diese Form von gruppennütziger Forschung an dieser Patientengruppe ist bisher in Deutschland verboten.
Im Referentenentwurf der AMG-Novelle war die strittige Formulierung im Paragrafen 40 b noch nicht enthalten. Im Gegenteil: Ausdrücklich wurde darin auf eine Entschließung des Bundestags vom Januar 2013 verwiesen. Darin hatte der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen betont, bei der EU-weiten Harmonisierung der Anforderungen für klinische Prüfungen müsse ein "direkter, individueller Nutzen" für nicht-einwilligungfähige erwachsene Studienteilnehmer gegeben sein.
Im Kabinettsentwurf der AMG-Novelle tauchte dann die Möglichkeit fremdnütziger Forschung plötzlich auf – verbunden mit der Auflage, dass der Betreffende die Teilnahme zuvor in einer Patientenverfügung erlaubt haben muss. Warum diese Senkung des Schutzniveaus für besonders vulnerable Probanden nötig ist, darüber gibt der Entwurf keine Auskunft.
Schnell entbrannte ein Streit über diese Klausel. Die erste Lesung des Gesetzes wurde am 14. April als TOP 17 in die Abendstunden verbannt, Reden nur zu Protokoll gegeben. Doch beim Versuch, das Gesetz schnell zu verabschieden, krachte es: im Juni und Juli wurde die Debatte zweimal kurzfristig von der Tagesordnung genommen.
Welche Entwürfe stehen zur Abstimmung?
Jetzt aber soll der Disput breiten Raum bekommen. Diese Entwürfe stehen bisher zur Abstimmung:
Beibehaltung der bisherigen Rechtslage: Klinische Studien, die nicht-einwilligungsfähigen Probanden nicht direkt nützen, sollen verboten bleiben. Betont wird, es gebe bisher "keine bekanntgewordenen Fälle, in denen ein Forschungsvorhaben am Fehlen der Möglichkeit einer gruppennützigen Forschung gescheitert ist". Bisher sollen rund 130 Abgeordnete diesen Vorschlag unterstützen.
Gruppennützige Forschung zulässig nach ärztlicher Aufklärung und Verfügung: Eine Person kann, noch im Zustand der Einwilligungsfähigkeit, seine Bereitschaft zur späteren Teilnahme an einer klinischen Prüfung erklären. Diese Version entspricht weitgehend dem Regierungsentwurf. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach und sein Unionskollege Georg Nüßlein gehören zu den Befürwortern dieses Antrags.
Gruppennützige Forschung ist zulässig; bei Vorliegen einer Verfügung auch ohne verpflichtende ärztliche Aufklärung: Hilde Mattheis und Sabine Dittmar (beide SPD) betonen, das Selbstbestimmungsrecht stehe im Vordergrund ihres Antrags. Sie lehnen eine obligate ärztliche Aufklärung ab, denn diese können zum Zeitpunkt der Einwilligung ohnehin nur "sehr allgemein und theoretisch-abstrakt" sein.
Strittig ist bei diesem Antrag, ob die EU-Richtlinie 2001/20/EG überhaupt einen Aufklärungsverzicht zulässt. Argumentiert wird, diese Spezialregelung für klinische Arzneimittelprüfungen lasse abweichende Regelungen der Mitgliedstaaten nicht zu.