Arzneitests an Demenzkranken
Koalition kippt Abstimmung
Gesundheitsminister Gröhe hält gegen Widerstand an fremdnützigen Arzneitests bei Demenzkranken fest - bis die Union revoltiert.
Veröffentlicht:BERLIN. SPD und Union haben die für Donnerstag geplante Abstimmung über das 4. AMG-Änderungsgesetz abgesagt und um mindestens zwei Wochen verschoben. Grund sind unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über sogenannte gruppennützige Arzneimitteltests bei Demenzkranken - Studien, die den teilnehmenden Patienten also nicht unmittelbar zu Gute kommen.
Die SPD-Fraktion unterstützte das Vorhaben im Regierungsentwurf überwiegend, aus der Unionsfraktion kam harsche Kritik. Weil Grüne und Linke im Bundestag eine namentliche Abstimmung beantragen wollten, mussten die Koalitionsspitzen "Abweichler" fürchten.
Nachdem im Laufe des Montags ein Gespräch der zuständigen Berichterstatter für das Gesetz im Streit geendet war, zogen die Fraktionsspitzen von SPD und Union am Montagabend die Notbremse: Die für Donnerstagabend geplante Debatte und Abstimmung wurde von der Tagesordnung genommen.
Offensichtlich ist im Bundesgesundheitsministerium der Unmut in der Unionsfraktion über die geplante Regelung unterschätzt worden. Dabei hatten Anfang Mai beide Kirchen in einer gemeinsamen Stellungnahme "erhebliche Bedenken" angemeldet.
In ihrer Patientenverfügung, so sieht es der Entwurf vor, können Betroffene vorab in die Teilnahme an solchen klinischen Studien einwilligen. Das reicht nicht, monieren die Kirchen. Nötig sei eine "aufgeklärte und informierte Einverständniserklärung". Dagegen kann eine Patientenverfügung ohne externe Beratung und Aufklärung erstellt werden.
Unionsabgeordnete argumentierten, der Ausschluss bestimmter therapeutischer Eingriffe sowie die Einwilligung in eine klinische Studie seien unterschiedliche Sachverhalte - sie forderten eine Aufklärungspflicht oder zumindest den ausdrücklichen Hinweis in der Patientenverfügung, man habe auf eine Aufklärung in diesem Punkt bewusst verzichtet. Die SPD wollte die Patientenverfügung nicht mit einem Arztgespräch verknüpfen - somit schieden die Koalitionspartner am Montag im Streit.
Vergrätzt zeigten sich insbesondere Unionsparlamentarier, dass das Gröhe-Ministerium auch auf Nachfrage hin nicht darstellen konnte, welche und wie viele klinische Studien in der Vergangenheit nicht gemacht werden konnten, weil das - gruppennützige - Studiendesign bis dato gesetzlich nicht erlaubt war. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller erklärte zudem mehrfach, seine Unternehmen benötigen für ihre Forschung keine Rechtsänderung.
Grüne und Linke zeigten sich erfreut über den Koalitionskrach und die Absetzung der Debatte. "Gröhe steht allein auf weiter Flur", sagte Kordula Schulz-Asche (Grüne) der "Ärzte Zeitung".
Beide Fraktionen wollten am Dienstag Änderungsanträge zum Gesetzentwurf beschließen.Bereits vor drei Jahren, erinnerte Schulz-Asche, habe der Bundestag sich gemeinsam dafür ausgesprochen, das Schutzniveau für nichteinwilligungsfähige Patienten zu erhalten.
Anlässlich des Brüsseler Vorschlags für die EU-Verordnung zu klinischen Prüfungen erklärten Union, SPD, FDP und Grüne in einer gemeinsamen Entschließung im Januar 2013: "Bei Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen (...) ist ein direkter individueller Nutzen vorauszusetzen.
"Dass die AMG-Novelle von der Regierung als "besonders eilbedürftiges" Gesetzgebungsverfahren deklariert wurde, stieß bei Abgeordneten in Opposition und Koalition auf besondere Verwunderung. Denn nach derzeitigem Zeitplan soll der Teil der EU-Verordnung, in dem es um die Meldung klinischer Studien an die künftige EU-Datenbank geht, im Oktober 2018 in Kraft treten.
Vor der parlamentarischen Sommerpause hat die Koalition noch zwei Gelegenheiten, einen neuen, konsentierten Gesetzentwurf zur Abstimmung im Bundestag anzusetzen: In Frage käme dafür der 23./24. Juni oder der 7./8. Juli.