Öffentlicher Gesundheitsdienst
"Sind mitten in der Demografiefalle"
Schwere Zeiten für den öffentlichen Gesundheitsdienst: Zum Auftakt ihrer Jahrestagung beklagen die Amtsärzte Versorgungsengpässe, Nachwuchsmangel und fehlendes Interesse an den Unis. Einen klaren Appell richten sie an Gesundheitsminister Gröhe - der verspricht ein Präventionsgesetz.
Veröffentlicht:MAGDEBURG. Deutschlands Amtsärzte stehen zunehmend vor Versorgungsproblemen. Selbst in bislang gut versorgten Regionen, vor allem im Osten der Republik, können sie nicht mehr alle Leistungen anbieten, wie auf der 64. Jahrestagung der beiden Bundesverbände der Ärzte und Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, BVÖGD und BZÖG, in Magdeburg deutlich wurde.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte auf dem Kongress derweil an, das Präventionsgesetz noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. "Ich hoffe, dass es nicht zu einer never-ending-Story wird", sagte er mit Blick auf den gescheiterten Anlauf der letzten Bundesregierung.
Dr. Eike Hennig, Leiter des Magdeburger Gesundheitsamtes beklagte zum Auftakt des Kongresses, dass er seit Monaten eine Kinderarztstelle in seinem Amt nicht besetzen könne - obwohl sie bundesweit ausgeschrieben sei. Deswegen müsse das Amt die Untersuchung eines gesamten Jahrgangs in den dritten Klassen der Stadt aussetzen, sagte er.
"Das ist eine Klage auf hohem Niveau, in anderen Landkreisen und Ländern ist die Lage noch deutlich schlechter." Manche Landkreise hätten nur anderthalb Arztstellen, "ich habe 16", sagte Hennig.
Dennoch ist der aktuelle Fall aus Magdeburg für den BVÖGD beispielhaft für die Entwicklung in dem Versorgungsbereich: Bundesweit sind Stellen in Gesundheitsämtern unbesetzt, weil junge Fachärzte sich lieber für eine Karriere im Krankenhaus oder der Praxis entscheiden.
Altersstruktur ein Problem
Seit Jahren sinkt die Zahl der Amtsärzte: von 1079 im Jahr 2000 auf jetzt 840 - ein Minus von 22 Prozent. Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der Ärzte in ganz Deutschland um 21 Prozent gestiegen. "Noch dramatischer ist die Entwicklung aber bei der Altersstruktur", sagte die BVÖGD-Chefin Dr. Ute Teichert.
"Auf einen ÖGD-Kollegen unter 50 Jahren kommen fünf über 50." Ihr Resümee: "Die Demografiefalle steht dem ÖGD nicht mehr bevor, wir sind mittendrin."
Sie forderte von Gröhe: "Schaffen Sie die notwendigen Rahmenbedingungen, dass der ÖGD seinen Aufgaben für die Bevölkerung gerecht werden kann." Allerdings: An vielen entscheidende Rahmenbedingungen, etwa der Finanzausstattung der Ämter, kann Gröhe nichts ändern. Hierfür sind die Kommunen und Länder zuständig.
Gröhe versprach den Amtsärzten in Magdeburg denn auch nicht zu viel. "Ich sage Ihnen aber zu, dass wir bei den anstehenden Reformen Ihre Anregungen gerne in die Gespräche einbeziehen werden", sagte er unter lautem Applaus der rund 700 Kongressteilnehmer. Eine dieser Reformen wird der "Masterplan Medizinstudium 2020" sein, dem sich die große Koalition verschrieben hat.
Tatsächlich sind Studium und Weiterbildung für die Amtsärzte mit die drängendsten Baustellen. Denn es rücken schlicht keine Nachwuchsmediziner mehr nach, weil "der Nachwuchs uns nicht kennenlernt", sagte Verbandschefin Teichert. "Studenten bekommen kaum Kontakt zum ÖGD im Studium."
Themen des öffentlichen Gesundheitsdienstes machen an vielen Universitäten nur wenige Stunden im Lehrplan aus. Teicherts Forderung, das öffentliche Gesundheitswesen als eigenes Fach ins Medizinstudium aufzunehmen, griff Gröhe allerdings nicht direkt auf.
Geringe Bezahlung bemängelt
Einen weiteren Grund für ihr Nachwuchsproblem sehen die Amtsärzte auch in der Bezahlung. Die kann nach der Weiterbildung im Gesundheitsamt bis zu 1000 Euro im Monat geringer sein als bei einer vergleichbaren Tätigkeit im Krankenhaus.
Die Ärzte an den Gesundheitsämtern werden derzeit nach dem TvÖD bezahlt. Seit Jahren kämpfen sie dafür, in den Tarifvertrag für Ärzte aufgenommen zu werden, oder zumindest einen vergleichbaren Tarifvertrag zu erhalten - bislang gegen den Widerstand der kommunalen Arbeitgeber.
Und aus diesem Grund wird ihnen auch der Bundesgesundheitsminister kaum weiterhelfen können. "Ich beteilige mich nicht öffentlich an Tarifverhandlungen, das werden sie verstehen", war Gröhes schlichte Antwort.
Es sprach den Amtsärzten vielmehr ins Gewissen, offensiv mit den Vorteilen einer Tätigkeit im ÖGD zu werben: "Ich glaube, dass der ÖGD seine tägliche Arbeit in das Werben um junge Mediziner einbringen sollte."
Junge Ärzte wünschten sich heutzutage mehr Teamarbeit und interdisziplinäre Arbeit, geregelte Arbeitszeiten und die Möglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. All das biete der ÖGD schon heute an, so Gröhe.
Bei den Kongressteilnehmern warb der Minister um Verständnis dafür, dass die Politik "oft die kurative Medizin in den Mittelpunkt" stellt, wenngleich auch der ÖGD "einen unverzichtbaren Beitrag leistet". Gröhe: "Wir brauchen den ÖGD."
Das werde etwa bei den frühen Hilfen und U-Untersuchungen deutlich, gerade auch für Kinder aus sozial schwachen Familien. "Es ist wichtig, dass der ÖGD hierfür ausreichende Kapazitäten hat", forderte Gröhe.
Und auch beim Infektionsschutz seien die Amtsärzte unersetzlich - Globalisierung und Pandemien waren hier des Ministers Stichworte. "Deswegen müssen wir den ÖGD als unersetzlichen Partner stärken."